Nach fast zwei Wochen schwerer Gefechte in Berg-Karabach ist in der umkämpften Kaukasusregion am Samstag eine Waffenruhe in Kraft getreten. Die Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan warfen sich jedoch schon unmittelbar danach gegenseitig vor, die Feuerpause verletzt zu haben. In der Nacht zum Samstag hatten sich beide Seiten unter Vermittlung von Russlands Außenminister Sergej Lawrow neben der Waffenruhe auf den Beginn „ernsthafter Verhandlungen“ über die Zukunft der seit Jahrzehnten umstrittenen Region geeinigt.
Nur Minuten nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe um 12.00 Uhr Ortszeit meldeten beide Seiten erneuten Beschuss. „Unter Missachtung des zuvor erklärten humanitären Waffenstillstands“ hätten die aserbaidschanischen Streitkräfte um 12.05 Uhr einen Angriff gestartet, erklärte das armenische Verteidigungsministerium.
Bereits kurz vor dem Beginn der Feuerpause habe Aserbaidschan „zivile Gebiete mit Raketen getroffen“, schrieb ein Vertreter der selbsternannten Regierung in Berg-Karabach im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Explosionen erschütterten die Stadt am Morgen, berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP.
Baku wiederum bezichtigte Eriwan, „in eklatanter Weise gegen das Waffenstillstandsregime“ zu verstoßen. Bei Angriffen seien zwei Wohngebiete getroffen worden, erklärte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium.
Trotz der gegenseitigen Beschuldigungen über den Bruch der Waffenrufe wurde es in der umkämpften Region am Mittag nach Berichten des AFP-Reporters ruhiger. Anwohner wagten sich wieder vor ihre Haustüren, nachdem sie sich tagelang vor den Beschüssen versteckt hatten.
Frankreich forderte unterdessen die „strikte“ Einhaltung des Waffenstillstands. Mit diesem könnten die „Voraussetzungen für eine dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den beiden Ländern“ geschaffen werden, erklärte das Außenministerium am Samstag. Frankreich leitet zusammen mit den USA und Russland die Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die sich für eine friedliche Lösung in dem Konflikt einsetzt.
Berg-Karabach ist seit Jahrzehnten zwischen Armenien und Aserbaidschan umstritten. Die Kaukasusregion hatte während des Zerfalls der Sowjetunion einseitig ihre Unabhängigkeit erklärt. Darauf folgte in den 90er Jahren ein Krieg mit 30.000 Toten. Die selbsternannte Republik Berg-Karabach wird bis heute international nicht anerkannt und gilt völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans. Sie wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt.
Nach einer längeren Zeit relativer Ruhe war der Konflikt um Berg-Karabach und angrenzende Gebiete Ende September wieder aufgeflammt. Seitdem gab es täglich heftige Gefechte, bei denen dutzende Zivilisten starben. Bislang wurden mehr als 400 Soldaten auf armenischer Seite getötet, während Aserbaidschan keine Angaben zu Opfern machte.