Angesichts steigender Siegchancen für den Herausforderer Joe Biden bahnt sich nach der Präsidentschaftswahl in den USA eine juristische Schlacht an. Biden zeigte sich am Mittwoch siegessicher. Er gewann laut US-Medien die Schlüsselstaaten Michigan und Wisconsin. Amtsinhaber Donald Trump hatte sich jedoch schon vorher zum Wahlsieger erklärt, ein juristisches Vorgehen gegen Stimmenauszählungen angekündigt und das Land damit an den Rand einer schweren politischen Krise gebracht.
„Wir glauben, dass wir die Sieger sein werden, wenn die Stimmauszählung beendet ist“, sagte Biden in seiner Heimatstadt Wilmington im Bundesstaat Delaware. „Es ist klar, dass wir genug Bundesstaaten gewinnen, um die 270 Wahlleute-Stimmen zu erreichen.“ Es sei aber noch zu früh, einen Sieg zu verkünden.
Kurz darauf riefen US-Fernsehsender den Ex-Vizepräsidenten zum Sieger im Bundesstaat Michigan aus, den Trump 2016 knapp gewonnen hatte. Auch Wisconsin, wo Trump die Demokratin Hillary Clinton damals besiegt hatte, ging demnach an Biden. Für Wisconsin will das Trump-Lager aber eine Neuauszählung der Stimmen erreichen, in Pennsylvania und Michigan zog es vor Gericht, um die Auszählung der Stimmzettel zu stoppen.
Zuvor hatte Trump in einem beispiellosen Schritt angekündigt, die noch laufende Stimmauszählung gerichtlich stoppen lassen zu wollen. „Wir haben diese Wahl gewonnen“, sagte der Präsident Trump trotz des unklaren Wahlausgangs.
Der Amtsinhaber sprach von angeblichem „Betrug an der Nation“ bei der Wahl und kündigte an, vor das Oberste Gericht zu ziehen. Trump prangerte im Onlinedienst Twitter ein angebliches „Verschwinden“ republikanischer Wählerstimmen an, ohne dafür irgendwelche Belege zu präsentieren.
Bidens Team wies Trumps Ankündigung, vor das Oberste Gericht zu ziehen, als „skandalös“ und „beispiellos“ zurück. „Niemals zuvor in unserer Geschichte hat ein Präsident der Vereinigten Staaten versucht, den Amerikanern in einer nationalen Wahl Ihre Stimme wegzunehmen“, erklärte Wahlkampfchefin Jen O’Malley Dillon an die Adresse der Wähler.
Trump siegte US-Medien zufolge unter anderem in den Schlüsselstaaten Florida und Ohio; ohne Florida hätte er praktisch keine Chance auf eine zweite Amtszeit gehabt. Biden wiederum konnte auch die „Swing States“ New Hampshire und Minnesota gewinnen sowie das traditionell konservative Arizona. Die Wahlbeteiligung erreichte laut dem US Elections Projekt mit rund 160 Millionen Menschen eine Rekordhöhe.
In dem womöglich entscheidenden Schlüsselstaat Pennsylvania lag Trump vorn. Der demokratische Gouverneur Tom Wolf sagte aber, es gebe „Millionen von Briefwahlstimmen“. Diese würden „akkurat gezählt, und sie werden voll gezählt“. In Pennsylvania werden Briefwahlstimmen mit Poststempel vom Wahltag noch bis Freitag angenommen. Offen war auch noch der Wahlausgang in Georgia, North Carolina und Nevada.
Für den Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl muss ein Kandidat mindestens 270 der insgesamt 538 Wahlleute gewinnen, die auf Ebene der Bundesstaaten vergeben werden. Biden lag nach einer auf Angaben der US-Sender basierenden Zählung der Wahlleute-Stimmen am Mittwochabend (MEZ) bei 268 Wahlleute-Stimmen, Trump bei 214.
Scharfe Kritik an Trumps Wahlbetrugsvorwürfen übten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). „Grundlose Anschuldigungen systematischer Defizite, insbesondere durch den amtierenden Präsidenten“ schadeten dem „Vertrauen der Öffentlichkeit in die demokratischen Institutionen“, erklärte die Beobachtermission.
Bereits vor dem Urnengang hatte es Befürchtungen gegeben, dass Trump eine Niederlage nicht anerkennen könnte. Auch gab es Ängste vor Unruhen. In der Wahlnacht zogen in der Westküsten-Metropole Portland Trump-Gegner vor ein Gerichtsgebäude, die teilweise bewaffnet waren.
Parallel zur Präsidentschaftswahl wurde der Kongress in großen Teilen neu gewählt. Dabei konnten die Demokraten laut US-Sendern ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus ausbauen. Die Hoffnung der Demokraten, Trumps Republikanern ihre Senatsmehrheit abzuringen, schrumpfte hingegen: Die Republikaner konnten laut US-Medien unter anderem in Iowa, North Carolina und Maine drei Sitze verteidigen, bei denen die Umfragen den Demokraten gute Chancen vorhergesagt hatten.