Angesichts der Corona-Pandemie will sich die EU besser gegen Versorgungsengpässe bei Medikamenten wappnen. „Wir wollen nie mehr die Probleme sehen, die wir in den ersten Wochen der Pandemie hatten“, sagte Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas am Mittwoch. Eine neue Pharma-Strategie soll demnach der EU „strategische Autonomie“ geben und eine sichere und erschwingliche Versorgung mit medizinischen Gütern sicherstellen.
Zu Beginn der Corona-Krise hatte es massive Versorgungsengpässe bei Schutzausrüstung wie Masken gegeben, aber auch Befürchtungen zur Verknappung bei wichtigen Medikamenten. Grund war die Stilllegung weiter Teile der Produktionskapazitäten in wichtigen Herstellerländern wie China oder Indien, um die Pandemie zu bekämpfen.
„Wir müssen uns auf uns selbst stützen können, nicht auf andere“, nannte Schinas als Lehre aus der Pandemie. Die Ursachen für Abhängigkeiten seien aber vielfältig. Der Ruf nach strategischer Autonomie im Pharmabereich dürfe auch nicht dazu dienen, „Protektionismus durch die Hintertür“ zu betreiben.
Wie die Behörde erläuterte, geht es nicht nur um die Rückverlagerung oder Neuansiedlung von Produktionskapazitäten nach Europa. Auch eine stärkere Diversifizierung der Lieferquellen oder „strategische Lagerhaltung“ wichtiger Medikamente könnten Instrumente sein, um Engpässe zu vermeiden.
Die Kommission will nun zunächst über Studien und einen Dialog mit der Industrie und Politik Schwächen in den globalen Lieferketten für wichtige Medikamente oder ihre Rohstoffe identifizieren. 2022 will sie dann einen Vorschlag für die grundlegende Überarbeitung der europäischen Pharma-Gesetzgebung vorlegen.
Zudem wirbt die Kommission für mehr Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Beschaffung und der Preispolitik und will Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich fördern – etwa mit Blick auf spezielle Arzneimittel für Krebserkrankungen bei Kindern oder gegen seltene Krankheiten.
Ein Schwerpunkt ist auch die Suche nach Alternativen wegen Resistenzen bei Antimikrobiotika. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides zufolge sterben jedes Jahr rund 33.000 Menschen in der EU, weil keine wirksamen Antibiotika zur Verfügung stehen.
Der SPD-Politiker Tiemo Wölken lobte einen begleitenden Aktionsplan zu geistigem Eigentum. Er könne sicherstellen, dass Innovationen geschützt würden, „gleichzeitig aber unnötige Barrieren für einen schnelleren Markteintritt von günstigeren Generika abgebaut“ würden.
Der CDU-Europapolitiker Peter Liese begrüßte Kommissionspläne zur besseren Krisenvorbereitung. In der Corona-Pandemie habe die gemeinsame Impfstoffbeschaffung der Mitgliedstaaten zwar funktioniert, es gebe aber keine bestehenden Strukturen dafür, erklärte er. „Auf zukünftige Pandemien müssen wir besser vorbereitet sein.“
Die Grünen forderten die Kommission auf, auch die Kosten in den Blick zu nehmen, wenn Arzneimittelforschung durch öffentliche Gelder gefördert werde. „Unangemessen hohe Preise zu Lasten von Patientinnen und Patienten sowie unserer Gesundheitssysteme sind nicht akzeptabel“, erklärte die Abgeordnete Jutta Paulus. „Es muss der Grundsatz ‚öffentliches Geld für öffentliche Leistungen‘ gelten.“
Die EU ist der zweitgrößte Markt für Arzneimittel weltweit. Die Ausgaben dafür beliefen sich laut Kommission im Jahr 2018 auf 190 Milliarden Euro, wobei Ausgaben in Krankenhäusern noch nicht eingerechnet sind. Gleichzeitig ist die Pharmaindustrie mit 800.000 Mitarbeitern ein wichtiger Wirtschaftszweig.