Freudentänze und Sorgenfalten: In den Jubel über Bidens Wahlsieg mischen sich vorsichtige Mahnungen

Kamala Harris und Joe Biden - Bild: twitter/JoeBiden
Kamala Harris und Joe Biden - Bild: twitter/JoeBiden

Vor dem Weißen Haus tanzen die Menschen. Und es sind keine Anhänger von Präsident Donald Trump, die ausgelassene Freudengesänge anstimmen. Die Menge feiert am Samstag vielmehr den Wahlsieg des US-Demokraten Joe Biden – und das baldige Ende der Präsidentschaft jenes Mannes, der das Land gespalten hat wie selten jemand zuvor. Doch die Freudenszenen aus Washington und vielen anderen Städten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mächtigste Nation der Welt auf unsichere Zeiten zusteuert.

Denn Trump weigert sich bislang seine Wahlniederlage anerkennen, und könnte damit eine politische Krise auslösen. Biden wird eine zutiefst zerstrittene Nation einen müssen, die von der Corona-Pandemie, einer schweren Wirtschaftskrise, fortdauerndem Rassismus und politischen Grabenkämpfen erschüttert wird.

Doch all das spielt zunächst keine Rolle an diesem sonnigen Samstag, als die US-Sender nach einer tagelangen Hängepartie in schneller Folge Bidens Wahlsieg ausrufen. Den Ausschlag für den früheren Vizepräsidenten gab der umkämpfte Schlüsselstaat Pennsylvania – jener Bundesstaat, in dem Joseph R. Biden Jr. vor nun bald 78 Jahren geboren wurde, und gleichzeitig einer der Staaten, die Trump vor vier Jahren zu seinem Überraschungs-Wahlsieg verholfen hatten.

Trump befindet sich ironischerweise in seinem exklusiven Golfclub nahe der Hauptstadt, als die Fernsehender seine Abwahl verkünden. Der New Yorker Immobilienmogul, der sich so gerne volksnah gibt, frönte gerade seinem Lieblingshobby, sein erster Ausflug aus dem Weißen Haus seit dem Wahl-Dienstag. Stunden später kehrt der Präsident in seinen Amtssitz zurück, den er bald wird räumen müssen – seine Amtszeit endet am 20. Januar. 

Doch dass der 74-Jährige kampflos abtritt, darf bezweifelt werden. Anstelle seinem siegreichen Herausforderer zu gratulieren, wie es die Tradition verlangt, kündigt Trump weitere rechtliche Schritte wegen angeblichen Wahlbetrugs an. „Die Wahl ist noch lange nicht vorbei“, schreibt der Präsident – und das kann durchaus als Drohung verstanden werden. Wie weit Trump tatsächlich gehen wird, das werden die kommenden Tage und Wochen zeigen.

„Ich denke nicht, dass er leise gehen wird“, sagt die 56-jährige Afroamerikanerin Yolanda, die sich vor dem Weißen Haus unter die Feiernden gemischt hat. „Er wird es bis zur letzten Sekunde herauszögern.“ Bidens Wahlkampfteam hatte schon im Vorfeld trocken erklärt, im Schlimmsten Fall werde Trump wie ein „Unbefugter“ aus dem Weißen Haus „hinausgeleitet“.

Doch Trump könnte noch auf lange Zeit eine politische Macht bleiben – und das politische Klima in den USA vergiften, wenn Millionen seiner Anhänger seinen Verschwörungstheorien Glauben schenken. Biden steht vor der riesigen Herausforderung, die Gräben in dem Land zu überbrücken und eine gewisse Normalität wiederherzustellen, in der Politik als Wettkampf und nicht als Krieg verstanden wird.

„Die vor uns liegende Arbeit wird hart sein“, twittert der 77-jährige „President-Elect“ am Samstag. „Aber ich verspreche euch dies: Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein – ob ihr für mich gestimmt habt oder nicht.“ Manche mögen das als Politiker-Floskel abtun, aber Biden hat sich in seiner fast fünf Jahrzehnte währenden Karriere den Ruf des Brückenbauers erworben.

Doch der frühere Vizepräsident wird gleich von zwei Seiten unter Druck stehen: Die Parteilinke der Demokraten, die den Mitte-Politiker im Wahlkampf trotz einiger Vorbehalte engagiert unterstützt hatte, wird von einem Präsidenten Biden mutige Reformen für mehr soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und gegen Rassismus und Polizeigewalt verlangen.

Trumps Republikaner wiederum haben gute Chancen, ihre Senatsmehrheit zu verteidigen, mit der sie Politikvorhaben des Präsidenten blockieren könnten. Und im mächtigen Supreme Court haben konservative Richter eine komfortable Mehrheit von sechs zu drei.

„Keep the faith!“ – frei übersetzt „Nur Mut!“ oder „Verliert nicht den Glauben!“ – steht derzeit über Bidens Twitter-Account. Der künftige Präsident wird sich das in den kommenden Jahren womöglich immer wieder selbst sagen müssen.

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