75 Jahre nach dem Beginn des Nürnberger NS-Kriegsverbrecherprozesses hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dessen bahnbrechende Bedeutung für die Entwicklung eines universalen Völkerstrafrechts gewürdigt. „Der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg war eine Revolution. Er schrieb nicht nur Rechtsgeschichte, er schrieb Weltgeschichte“, sagte Steinmeier am Freitag laut Redetext bei einem Festakt im historischen Verhandlungssaal 600 des Nürnberger Justizpalasts.
In diesem Saal hatte am 20. November 1945 der Hauptkriegsverbrecherprozess gegen hochrangige Vertreter des NS-Regime begonnen, darunter Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und NS-Luftfahrtminister Hermann Göring. Der Nürnberger Prozess war das erste internationale Strafverfahren der Geschichte. Die Richter kamen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Auch die Anklage war mit je einem Vertreter der Siegermächte besetzt.
Steinmeier erinnerte daran, dass bis zur Eröffnung des Nürnberger Prozesses das Völkerrecht eine „Angelegenheit von Staaten“ gewesen sei, „nicht von Individuen“. „In Nürnberg standen erstmals die Spitzen eines Staats vor Gericht und sollten angeklagt werden, für die schwersten Verbrechen, die die Weltgeschichte bis dahin erlebt hatte – für die Entfesselung eines Angriffskriegs, für Kriegsverbrechen und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Die Idee des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses und seiner zwölf Nachfolgeprozesse bezeichnete Steinmeier als „bahnbrechend“: „Regierungsverantwortliche und hohe Staatsbeamte sollten sich für ihre verbrecherischen Befehle nicht länger hinter der völkerrechtlichen Immunität verstecken, die ausführenden Befehlsempfänger nicht länger auf einen Befehlsnotstand berufen können.“
Damit habe sich das Recht gegen die Macht gestellt. „Es sollte ihrem eklatanten Missbrauch Grenzen setzen, es war die Grundlage für ein universales Völkerstrafrecht und eine internationale Strafgerichtsbarkeit – für eine an Recht und Gesetz orientierte internationale Ordnung“, sagte der Bundespräsident. „Es war auch die Grundlage für ein Weltrechtsprinzip, nach dem Kriegs- und schwerste Menschenrechtsverbrechen nirgendwo auf der Welt ungesühnt bleiben sollen.“
Der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg „zeichnete eine neue, andere Geschichte vor – die Entstehung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit“, betonte Steinmeier. „Sie kam spät, erst nach dem Kalten Krieg zustande – der Weg war mühsam und von Rückschlägen gezeichnet, und doch: Es war ein großer Durchbruch, ohne den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg gäbe es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag heute nicht.“
„Nicht das Konzert der Mächtigen allein, sondern die Stärkung des Rechts in den internationalen Beziehungen schafft das Fundament einer überstaatlichen Ordnung, die die Welt braucht – und dringend weiter braucht“, mahnte Steinmeier. „Das ist das Vermächtnis von Nürnberg. Wir Deutsche sind in besonderer Weise dazu aufgerufen, dieses Vermächtnis weiterzutragen und zu verteidigen.“
Der Nürnberger Prozess endete nach 218 Verhandlungstagen am 1. Oktober 1946. Das internationale Gericht verhängte zwölf Todesurteile – eines in Abwesenheit-, drei lebenslange Haftstrafen und vier lange Gefängnisstrafen. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.
Zum 75. Jahrestag des Prozessbeginns erinnerte auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) an die rechtsgeschichtlichen Weichenstellungen durch das Strafverfahren. „Mit der Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen im ‚Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess‘ schlug im Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts die Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts“, erklärte Eisenreich. „Saal 600 mahnt uns alle, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nicht selbstverständlich sind, sondern Tag für Tag verteidigt werden müssen.“