Die österreichischen Behörden haben offenbar bereits vor dem Terroranschlag in Wien Hinweise auf die potenzielle Gefahr erhalten, die vom Täter ausging. Der slowakische Geheimdienst habe das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung über einen versuchten Munitionskauf des Täters informiert, räumte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Wien ein. In den „weiteren Schritten“ sei dann „offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen“. Der Minister kündigte die Einrichtung einer Unabhängigen Untersuchungskommission an.
Nehammer warf seinem Vorgänger Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ vor, während seiner Amtszeit den Verfassungsschutz geschwächt oder gar „zerstört“ zu haben. Kickl hatte im Februar 2018 den Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung durchsuchen lassen. Auf Veranlassung seines Ministeriums wurden im Zuge von Korruptionsermittlungen Daten zu Rechtsextremen und Burschenschaften beschlagnahmt, die der FPÖ nahe stehen sollen.
Am Montagabend hatte ein Attentäter in Wien auf Barbesucher und Restaurantangestellte geschossen und dabei vier Menschen getötet und 22 weitere verletzt, bevor er von Polizisten erschossen wurde. Bei dem Täter handelt es sich nach Behördenangaben um den aus Nordmazedonien stammenden Kujtim Fejzulai. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag am Dienstag für sich.
Der 20-jährige IS-Anhänger war nach Behördenangaben im April 2019 zu einer 22-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er versuchte, zum Dschihad nach Syrien zu reisen. Anfang Dezember wurde der Mann vorzeitig aus der Haft entlassen. Dem Angreifer gelang es offenbar, eine erfolgreiche Teilnahme an einem Programm zur Deradikalisierung vorzutäuschen.
Die österreichischen Ermittler beschlagnahmten am Dienstag bei Hausdurchsuchungen umfangreiches Beweismaterial und nahmen 14 Menschen vorläufig fest. Die 14 Festgenommenen würden noch vernommen, erklärte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, am Dienstagabend im österreichischen Fernsehen. Ruf schloss nicht aus, dass sie den Täter unterstützt haben. Auch in der Schweiz wurden zwei Männer festgenommen.
Im Zentrum der Ermittlungen steht auch die Frage, warum der Täter im Dezember 2019 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Diese Entscheidung sei „definitiv falsch“ gewesen, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag im österreichischen Fernsehsender ORF. „Wäre er nicht aus der Haft entlassen worden, hätte der Terroranschlag so nicht stattfinden können.“
Bei seiner letzten Sitzung des Deradikalisierungsprogramms Ende Oktober habe der 20-Jährige die jüngsten Terroranschläge in Frankreich explizit verurteilt, sagte Ruf. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien aber zahlreiche Hinweise auf seine Radikalisierung gefunden worden. So entdeckten die Ermittler unter anderem ein Facebook-Foto, das eine Nähe zur IS-Miliz nahelegt und ihn mit der Kalaschnikow und der Machete zeigt, mit denen er den Anschlag beging.
Fejzulais Anwalt Nikolaus Rast, der den 20-Jährigen im April 2019 verteidigt hatte, beschrieb den Täter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP als ruhig und introvertiert. Niemand habe geglaubt, dass er zu einer solchen Tat fähig wäre, erklärte er. Örtlichen Medienberichten vom Mittwoch zufolge hatte Fejzulai offenbar als Jugendlicher zunehmend Probleme in der Schule und mit seinen Eltern und begann, eine Moschee zu besuchen.
Bundeskanzler Kurz und der französische Präsident Emmanuel Macron planen nach Angaben des Bundeskanzleramts nach dem Anschlag von Wien gemeinsame europäische Initiativen im Kampf gegen den Terrorismus.