Trump könnte bei Versuch des Machterhalts an Electoral College ansetzen

US-Capitol/Kongress, USA
US-Capitol/Kongress, USA

Mit seiner Klagewelle gegen den Wahlausgang ist US-Präsident Donald Trump bislang wenig erfolgreich. Deswegen steht die Befürchtung im Raum, der Präsident könnte versuchen, sich über das sogenannte Electoral College an der Macht zu halten. Denn der Präsident wird letztlich von Wahlleuten bestimmt, die Mitte Dezember ihre Stimme abgeben. Um sie könnte ein erbitterter Kampf entstehen, auch wenn Experten das letztlich als wenig wahrscheinlich ansehen.

Wie läuft der Wahlprozess normalerweise ab?

Die Wähler stimmten am 3. November nur indirekt für die Präsidentschaftskandidaten. Konkret wählten sie in jedem Bundesstaat eine Gruppe von Wahlleuten, die von den jeweiligen Parteien im Vorfeld ausgesucht worden waren. Der Urnengang entschied darüber, ob in einem Bundesstaat die Wahlleute der Republikaner von Präsident Trump oder jene der Demokraten von Joe Biden ausgewählt wurden.

In den kommenden Tagen und Wochen werden in den Bundesstaaten alle verbliebenen Wählerstimmen ausgezählt und die Wahlergebnisse zertifiziert. Mögliche Rechtsstreitigkeiten müssen bis zum 8. Dezember beigelegt sein, damit der US-Kongress das Ergebnis nicht zurückweisen kann. Die Wahlleute für den jeweils siegreichen Kandidaten kommen dann am 14. Dezember in ihren Bundesstaaten zusammen und geben ihre Stimme ab.

Wie viele Wahlleute-Stimmen braucht Biden?

Biden benötigt die Stimmen von mindestens 270 der landesweit 538 Wahlleute, die gemeinsam das Electoral College bilden. Biden hat 306 Wahlleute gewonnen, Trump 232.

Sind die Wahlleute an das Wahlergebnis gebunden?

Die US-Verfassung schreibt den Mitgliedern des Wahlkollegiums keineswegs vor, entsprechend des Wahlausgangs in ihrem jeweiligen Bundesstaat abzustimmen. Es gibt allerdings viele Bundesstaaten, die ihre Wahlmänner und -frauen unter Androhung einer Geldstrafe dazu verpflichten.

In der US-Geschichte haben Wahlleute mit überwältigender Mehrheit abgestimmt, wie von ihnen erwartet wurde: Zwischen 1796 und 2016 scherten nur 180 Wahlleute aus. Den Ausgang einer Präsidentschaftswahl hat dies noch nie verändert. 2016 verweigerten zwei Wahlleute Wahlsieger Trump ihre Stimme, er bekam deswegen 304 anstelle von 306 Stimmen.

Könnte die Prozedur dieses Mal im Chaos enden?

Viel hängt davon ab, mit welchen Mitteln Trump versucht, im Amt zu bleiben. Er könnte Wahlleute dazu drängen, am 14. Dezember für ihn und nicht für Biden zu stimmen. Allerdings dürfte das wenig Aussichten auf Erfolg haben, zumal Biden 36 Wahlleute mehr gewonnen hat, als er mindestens braucht – ein komfortables Polster.

Trump könnte aber auch schon zuvor Druck auf die Landesparlamente in einigen Schlüsselstaaten ausüben. Diese können nämlich laut einem Bundesgesetz selbst die Wahlleute festlegen, wenn die Wähler „gescheitert“ sind, einen Sieger zu bestimmen. Als Argument könnten die Republikaner angeblichen Wahlbetrug ins Feld führen. Die Landesparlamente würden sich damit über den Wählerwillen hinwegsetzen.

Denkbar wäre ein solcher Schritt in den von Biden gewonnenen Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, wo die Republikaner die Mehrheit in den Landesparlamenten stellen. Die Gouverneure der drei Staaten – allesamt Demokraten – könnten dagegen auf Grundlage der Wahlergebnisse Biden die Wahlleute zusprechen.

Was wären die Folgen?

Den USA würde eine gewaltige Verfassungskrise drohen, mit der nächsten Etappe im US-Kongress. Das Parlament wird am 6. Januar in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus die Stimmen des Electoral College auszählen und bestätigen. Bei rivalisierenden Wahlleute-Stimmen aus einem Bundesstaat oder mehreren Bundesstaaten droht Chaos.

Wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario?

Zuletzt hat es im 19. Jahrhundert einen solchen Kampf um Wahlleute gegeben. Und kaum ein Experte hält ein solches Extrem-Szenario in diesem Jahr für wahrscheinlich. Ein Versuch von Landesparlamenten, eigene Wahlleute durchzudrücken, würde nicht nur für riesige Empörung sorgen, sondern dürfte sofort vor Gerichten landen.

Allerdings hat Trumps Umfeld bereits eine solche Möglichkeit ins Spiel gebracht. Der einflussreiche republikanische Senator Lindsay Graham sagte nach der Wahl, alle Optionen seien „auf dem Tisch“.

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