Die Sicherheitsbehörden in Deutschland müssen derzeit nach Einschätzung von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang angesichts der Bedrohung durch islamistische Extremisten „sehr wachsam“ sein. Nach den islamistischen Anschlägen der vergangenen Wochen gehe es darum, „einen sehr scharfen Blick auf die uns bekannten Gefährder werfen“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem ARD-Hauptstadtstudio in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview. Es gebe sicher einige, die „über Nachahmungstaten“ nachdächten.
Dabei habe sich die Gefährdungslage nach Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht verändert, sagte Haldenwang. „Ich habe in den vergangenen Jahren immer gesagt, die Gefährdungssituation durch den islamistischen Terrorismus ist unverändert hoch – wir müssen jeden Tag auch in Deutschland mit einem islamistischen Anschlag rechnen“.
Als Hauptauslöser für die islamistisch motivierten Anschläge der vergangenen Wochen sieht der Verfassungsschutz die neue Diskussion um die Mohammed-Karikaturen in Frankreich. Das Thema habe „die Emotionen der Islamisten sehr stark hochkochen lassen“, sagte Haldenwang. „Wir nehmen wahr, dass auch in Deutschland die Szene sehr intensiv über diese Ereignisse diskutiert und Solidarität zeigt mit den französischen Glaubensbrüdern und -schwestern“.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind in Deutschland derzeit 615 islamistische Gefährder im Fokus der Sicherheitsbehörden. Dazu kommen 521 sogenannte relevante Personen, die noch nicht das Stadium eines Gefährders erreicht haben.
Am Montagabend hatte in Wien ein Angreifer in einem Ausgehviertel vier Menschen getötet und 22 weitere verletzt. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich. Zuvor hatte es mehrere islamistische Anschläge in Frankreich gegeben. In Dresden waren Anfang Oktober zwei Touristen mit einem Messer angegriffen worden; einer von ihnen starb. Tatverdächtig ist ein 20-jähriger Syrer, der als islamistischer Gefährder eingestuft ist.
Zum Anschlag in Wien sagte Haldenwang: „Ob es tatsächlich Kontakte zwischen dem Täter und handelnden Personen des IS im arabischen Raum gegeben hat, das müssen die weiteren Ermittlungen zeigen.“ Es sei auf jeden Fall erkennbar, dass sich der IS bemühe, sich neu zu organisieren. Allerdings mache er noch ein Fragezeichen, ob der IS schon so weit sei, aus der Ferne Anschläge in Westeuropa selbst zu planen oder zu veranlassen, fügte Haldenwang hinzu.
Er sehe noch kein „kein koordiniertes Vorgehen des IS in Westeuropa“, mit „konkreten Planungen und Strukturen“, sagte der Verfassungsschutzchef. Die IS-Propaganda reiche aber schon wieder aus, um radikalisierte Einzeltäter zu Taten sowie zu Bekenntnissen zum IS zu motivieren.