Nach mehrjährigen Verhandlungen zeichnet sich eine Einigung auf ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und China womöglich noch vor dem Jahresende ab. Wie der chinesische Außenamtssprecher Wang Wenbin am Freitag in Peking sagte, befinden sich die Gespräche „auf der Zielgeraden“. Damit könnten die wirtschaftlichen Bande zwischen der EU und der Volksrepublik noch vor Amtsantritt des gewählten US-Präsidenten Joe Biden im Weißen Haus gefestigt werden; für deutsche Unternehmen könnte sich daraus ein besserer Zugang zum chinesischen Markt ergeben.
Ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel verwies darauf, dass die Gespräche mit der Führung in Peking über das Abkommen zuletzt intensiviert und bei einer Reihe von Punkten Fortschritte erzielt worden seien. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag in Berlin, dass es in der Verhandlungsrunde im Dezember „offenbar Fortschritte“ gegeben habe. Die Verhandlungen dauerten aber noch an. Ziel sei „weiterhin ein ambitioniertes Abkommen zwischen China und der EU“, sagte der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Im Zentrum eines möglichen Investitionsschutzabkommens, über das es bereits seit Ende 2013 Gespräche gibt, steht die Gleichbehandlung europäischer Unternehmen auf dem chinesischen Markt, für chinesische Firmen soll dies umgekehrt für die EU gelten. Das Hauptaugenmerk der Europäer liegt dabei auch auf dem Schutz geistigen Eigentums in der Volksrepublik sowie erzwungenen Technologietransfers und exzessiven chinesischen Subventionen für Unternehmen aus der Volksrepublik.
Diese Punkte hatte wiederholt auch der bisherige US-Präsident Donald Trump kritisiert, der im Zuge seiner „America First“-Politik einen massiven Handelsstreit mit China losgetreten und eine Strafzollspirale in Gang gesetzt hatte. Biden will die Handelsbeziehungen zur Volksrepublik und auch die Zölle nach seinem Amtsantritt zunächst unverändert lassen.
Der bevorstehende Machtwechsel im Weißen Haus führt nach Angaben aus EU-Kreisen indes dazu, dass es in Peking bei den Verhandlungen mit Brüssel ein ungewöhnlich hohes Maß an Flexibilität gibt. Die Chinesen hätten das Signal ausgesandt, dass sie ein Abkommen wollten, bevor die neue US-Regierung im Amt sei.
Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, äußerte die Hoffnung, dass „in den nächsten Tagen“ eine Vereinbarung abgeschlossen werden könne. Voraussetzung dafür ist auf europäischer Seite allerdings auch, dass die Mitgliedstaaten sich hinter ein Abkommen stellen. Eine Rolle hierbei könnten Forderungen nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in China und auch der Umgang mit Minderheiten spielen; erst am Donnerstag hatte das Europaparlament mutmaßliche massive Menschenverstöße gegen die Uiguren und andere muslimische Minderheiten in China scharf verurteilt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte vor überzogener Eile – denn dies berge die Gefahr, dass „falsche Kompromisse“ eingegangen würden, erklärte Jürgen Matthes, IW-Experte für internationale Wirtschaftsordnung. Nicht nur könne die Biden-Regierung vor den Kopf gestoßen werden. „Besser wäre ein gemeinsamer transatlantischer Schulterschluss, der auch im Sinne Joe Bidens ist, denn gemeinsam ermöglicht das eine bessere Positionierung gegenüber China.“
Auch zeige die Erfahrung mit Regeln zur Sicherung des geistigen Eigentums, „dass China in der Vergangenheit schon viele Zusagen gemacht und auch Gesetzesänderung umgesetzt hat, sich aber in der Praxis kaum daran hält“, erklärte Matthes. Deshalb müsse sichergestellt werden, „dass die EU ihrerseits Zugeständnisse des Abkommens wieder zurückziehen kann, wenn China seine Versprechen nicht vollständig umsetzt“.