Die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland wird umfassend reformiert. Das Bundeskabinett beschloss dazu am Mittwoch einen Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Giffey sprach von einem „Flagschiffprojekt“ mit langer Vorlaufzeit und umfassendem Beteiligungsprozess. Es gehe darum, „in ganz besonderer Weise das Wohl der Kinder“ in den Blick zu nehmen.
Giffey nannte bei einer Pressekonferenz in Berlin fünf große Regelungsbereiche. Unter dem Schlagwort „Schützen“ solle beispielsweise eine engere Kooperation zwischen Ärzten und Jugendämtern ermöglicht werden, wenn der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht. Zudem soll die Aufsicht über Heime verschärft werden.
Der Bereich „Stärken“ zielt insbesondere auf Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien oder Heimen. Sie sollen rund um den 18. Geburtstag, wenn sie das Hilfesystem verlassen, besser begleitet werden. Zuvor sollen sie, wenn sie etwa mit Ferienjobs Geld verdienen, maximal 25 Prozent des Lohns als Kostenbeteiligung ans Jugendamt abgeben müssen. Bislang kann der Staat bis zu 75 Prozent verlangen.
Unter die Überschrift „Helfen“ stellte Giffey das ambitionierte Vorhaben, Hilfen für Kinder mit und ohne Behinderung aus einer Hand zu ermöglichen. Bisher gibt es hier mit der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe zwei parallele Systeme, was insbesondere betroffene Familien oft vor Probleme stellt. Die Integration soll laut Giffey schrittweise erfolgen und 2028 abgeschlossen sein.
Der Bereich „Unterstützen“ zielt insbesondere auf Prävention: Eltern sollen „schnell und unkompliziert“ niedrigschwellige Unterstützung bekommen können. Giffey nannte als Beispiel eine temporäre Überlastung etwa einer Alleinerziehenden nach dem Umzug in eine neue Stadt.
Der fünfte Punkt steht unter der Überschrift „Beteiligen“. Dabei soll die Position sowohl von Kindern als auch von Eltern gestärkt werden. Beispielsweise soll es überall unabhängige Ombudsstellen geben, die sich um Konflikte zwischen Familien und Jugendämtern kümmern. Kinder sollen sich auch ohne Erlaubnis ihrer Eltern vom Jugendamt beraten lassen können.
Das Gesetz soll nach Giffeys Willen im Frühsommer 2021 in Kraft treten. Die Ministerin machte deutlich, dass es um eine große Zahl von Betroffenen gehe. Es gebe in Deutschland rund 360.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sowie 1,1 Millionen, deren Familien Hilfen zur Erziehung bekommen. Drei bis vier Millionen Kinder lebten außerdem mit mindestens einem Elternteil mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen und bräuchten deswegen ebenfalls Unterstützung.
Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg (CDU), lobte Giffeys Vorlage grundsätzlich. Der Gesetzentwurf sei „für das parlamentarische Verfahren bereits eine gute Diskussionsgrundlage“, erklärte er. Es solle aber noch „Verbesserungen“ geben. Kinderrechte und Elternrechte dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, warnte Weinberg.