Angesichts der festgefahrenen Verhandlungen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit haben die EU und Großbritannien nun auf höchster Ebene nach einer Lösung gesucht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson führten am Samstag ein Telefongespräch, um nach Lösungen zu suchen. Es begann nach AFP-Informationen am späten Nachmittag.
„Wir werden sehen, ob es noch einen Weg gibt“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Samstagmorgen in London, bevor er zu Beratungen mit von der Leyen nach Brüssel fuhr. Er hatte sich mit seinem britischen Kollegen David Frost am Freitag wegen „bedeutender“ Differenzen auf eine Pause der Gespräche verständigt. Aus ihrer Sicht sind die Bedingungen „für ein Abkommen nicht gegeben“.
Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran. Inzwischen ist die Zeit für eine rechtzeitige Ratifizierung eines möglichen Abkommens bis zum 1. Januar schon äußerst knapp.
„Die Zeit läuft ab“, schrieb der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), auf Twitter. Johnson müsse sich nun „zwischen Brexit-Ideologie und der Realität des Alltagslebens der Menschen“ entscheiden. „Inmitten der Covid-Krise schulden wir es unseren Bürgern und Firmen, eine Vereinbarung zu finden“ – „jetzt oder nie“.
„Es ist fünf vor Zwölf“, erklärte der Chef der Liberalen, Dacian Ciolos, in dem Online-Dienst. Für Johnson sei es Zeit, „Menschen und Unternehmen“ den Vorzug vor „Hardline-Ideologie“ zu geben. Nötig sei ein Deal, der EU-Standards langfristig schütze und faire Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft garantiere.
Der für die Beziehungen zu Großbritannien zuständige Parlamentsausschuss soll nach AFP-Informationen am Sonntagnachmittag (16.00 Uhr) zusammenkommen. Laut Tagesordnung soll an der Sitzung auch EU-Chefunterhändler Michel Barnier teilnehmen.
Es werde voraussichtlich „vor allem um Fischerei gehen“, sagte ein Abgeordneter der AFP. Dabei geht es um die Fangrechte von EU-Fischern in britischen Gewässern. Sie sind vor allem Küstenstaaten wie Frankreich, Spanien oder Dänemark wichtig. Paris hatte am Freitag sogar mit einem Veto gegen ein Handelsabkommen gedroht, wenn es hier zu keinem akzeptablem Kompromiss komme.