Seit dem 1. Februar ist Großbritannien kein EU-Mitglied mehr. In einer Übergangsphase bis Ende des Jahres wollten beide Seiten eigentlich ein Handelsabkommen vereinbaren. Doch die Verhandlungen stehen auf der Kippe. Es bleiben nur noch wenige Tage, damit eine Vereinbarung nach einem Durchbruch noch rechtzeitig ratifiziert werden kann. Was passieren würde, wenn es keinen Deal gibt:
Zölle und Einfuhrquoten
Großbritannien würde den EU-Binnenmarkt und die Zollunion zum 1. Januar ohne Nachfolgeregelung verlassen. Beide Seiten würden dann Zölle und Einfuhrquoten einführen. Dabei würden die Regeln der Welthandelsorganisation WTO greifen. In einer Reihe von Sektoren käme es zu kräftigen Aufschlägen: 37,5 Prozent bei Milchprodukten aus Großbritannien, 11,5 Prozent bei Bekleidung, 22 Prozent bei Liefer- und Lastwagen und zehn Prozent bei Autos.
Autobranche
Die europäische Autoindustrie warnt bei einem „No Deal“ vor einem dramatischen Einbruch des beiderseitigen Handelsvolumens über die kommenden fünf Jahre um 110 Milliarden Euro. Für Großbritannien würde das ein Minus von 52,8 Milliarden Euro bedeuten, für die EU-Staaten 57,7 Milliarden Euro. Entsprechend sieht die Branche tausende Jobs gefährdet.
Grenzkontrollen
Mit oder ohne Vereinbarung: Ab dem 1. Januar wird es wieder Grenzkontrollen geben. Bei einem „No Deal“ würde diese Belastung deutlich höher ausfallen. Laut britischem Zoll würde zusätzliche Bürokratie die Unternehmen auf beiden Seiten 15 Milliarden Pfund (16,4 Milliarden Euro) pro Jahr kosten. Die britische Regierung rechnet zudem „im schlimmsten Szenario“ damit, dass sich bis zu 7000 Lastwagen im Südwesten England wegen Kontrollen am Ärmelkanal stauen könnten.
Reiseverkehr
Ohne Abkommen verlieren Fluggesellschaften ihre Start- und Landerechte. Der Luftverkehr käme zum Erliegen. Wegen der gravierenden Auswirkungen sind hier vorübergehende Ausnahmeregelungen wahrscheinlich. Der EU-Gipfel forderte die EU-Kommission im Oktober generell auf, „einseitige und befristete Notfallmaßnahmen rechtzeitig“ vorzubereiten.
Finanzmarkt
In Teilen gibt es solche Notfallregeln für die Finanzbranche bereits. Denn die Londoner City ist für die EU ein unverzichtbarer Finanzplatz. Ein harter Schnitt zu Jahresbeginn könnte zu Marktturbulenzen führen. Im September kündigte die Kommission deshalb an, dass sie bis Mitte 2022 britischen Abwicklungshäusern für hochkomplizierte Finanzprodukte wie Derivate weiter Geschäfte auf dem EU-Markt erlauben will.
Nordirland
Für die britische Provinz gibt es schon im Brexit-Vertrag eine Auffanglösung. Nordirland würde demnach eine Zollunion mit Großbritannien bilden. Bei Gütern von außerhalb Europas, die in die EU gelangen könnten, müssen die britischen Behörden aber EU-Zölle erheben. Nordirland beachtet zudem weiter Binnenmarktstandards an, um Grenzkontrollen zu Irland zu vermeiden. Doch genau diese Lösung hat Premierminister Boris Johnson mit einseitigen Gesetzesänderungen wieder in Frage gestellt.
Fischerei
Ohne Abkommen dürften EU-Fischer nicht mehr in britischen Gewässern ihre Netze auswerfen. Dies wäre vor allem für die die EU-Länder Frankreich, Dänemark, Belgien, Niederlande und Spanien ein schwerer Schlag. Deutsche Fischer wären dagegen kaum betroffen.
Rechte der Bürger
Auch diese sind schon im Austrittsvertrag geregelt. In Großbritannien leben gut drei Millionen Menschen aus anderen EU-Staaten, in der EU mehr als eine Million Briten. Sie haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren. Auch Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen werden garantiert.
Gesamtwirtschaftliche Folgen
Die EU betont immer wieder, dass die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen die Briten deutlich härter treffen würden als die Kontinentaleuropäer. Tatsächlich machen die britischen Warenexporte in die EU 47 Prozent der Gesamtausfuhren aus. Umgekehrt sind es für die EU-Länder nur acht Prozent.
Nach einer Studie des Forschungszentrums The UK in a Changing Europe könnte ein Austritt ohne Abkommen langfristig fast drei Mal so teuer für die britische Wirtschaft werden wie die Folgen der Corona-Pandemie. Demnach würde Großbritanniens Wachstum durch den „No Deal“ über 15 Jahre um 5,7 Prozent geringer ausfallen. Bei Covid-19 sind es demnach nur 2,1 Prozent.