In der Frage einer Beobachtung der Querdenken-Bewegung durch den Verfassungsschutz zeichnet sich unter den Bundesländern noch keine einheitliche Linie ab. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) begrüßte zwar die in Baden-Württemberg angekündigte Observation des Stuttgarter Querdenken-Ablegers, hielt eine Beobachtung der Gruppierung in seinem Bundesland aber noch nicht für notwendig. Das Thema war am Donnerstag Thema auf der Innenministerkonferenz.
„Aus der Bewegung heraus hat sich legitimer Protest gegen Corona-Maßnahmen zu einem Angriff auf den Staat und die Demokratie entwickelt“, sagte Pistorius im Norddeutschen Rundfunk. Die Behörden müssten dort deshalb „genau hinschauen“. Das geschehe auch in seinem Bundesland, betonte Pistorius. Dort sei eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz bisher jedoch nicht notwendig.
„Hier gibt es lediglich einzelne Personen oder kleine Zusammenschlüsse – diese sind nicht so gut organisiert wie in Baden-Württemberg, aber wir haben das im Blick“, fügte er hinzu. Am Mittwoch hatten die baden-württembergischen Sicherheitsbehörden bekannt gegeben, dass die Führungsebene des Stuttgarter Ablegers wegen extremistischer Bestrebungen ab sofort vom Landesverfassungsschutz beobachtet wird.
In Nordrhein-Westfalen sind nach Einschätzung des Landesverfassungsschutzes zehn Prozent der Teilnehmer sogenannter Querdenken-Demonstrationen Rechtsextreme oder Reichsbürger. Laut einem Bericht der „Neuen Westfälischen“ aus Bielefeld mischen sich auch einflussreiche Protagonisten der rechtsextremistischen Szene unter die Demonstranten. „Es gibt eine Radikalisierung, je länger die Maßnahmen dauern“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) der Zeitung.
Immer mehr Rechtsextremisten entdeckten die Proteste für sich. „Hier laufen Impfgegner neben Verschwörungsideologen, da hält der Rechtsextremist sein Plakat neben Bürgerinnen und Bürgern, die Angst um ihr Geschäft haben oder ihre Enkel gern wiedersehen wollen“, sagte Reul. Eine einheitliche „Anti-Corona-Bewegung“ gebe es nicht. In Nordrhein-Westfalen gab es dem Verfassungsschutz zufolge bisher rund 400 solcher „Corona-Protestversammlungen“.
Die SPD im Düsseldorfer Landtag fordert eine Beobachtung der „Querdenker-Bewegung“ in Nordrhein-Westfalen. Fraktionsvize Sven Wolf sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitagsausgabe), im Kern gehe es den Querdenkern nicht um Kritik an politischen Entscheidungen zu den Corona-Maßnahmen, sondern um „ungesunden Populismus“, der die Demokratie in Abrede stelle.
Über die Beobachtung auf Landesebene entscheiden die jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörden. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern muss daher keinen Beschluss dazu fassen.
Die Linke im Bundestag warnte ebenfalls vor der Querdenken-Bewegung, wandte sich aber gegen deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz. „Von ihrer völlig irrationalen, vielfach antisemitischen Weltanschauung und ihrer Offenheit für Faschisten geht in der Tat eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus“, erklärte die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke. „Doch wer glaubt, Verschwörungsideologen geheimdienstlich bekämpfen zu können, ist auf dem Holzweg.“ Denn der Verfassungsschutz stehe als Geheimdienst außerhalb demokratischer Kontrolle und sei damit selbst Teil des Problems.
Die Innenminister berieten auf ihrer digital abgehaltenen Herbsttagung auch über den Vorschlag von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), vom generellen Abschiebestopp bei syrischen Flüchtlingen abzurücken. Seehofer nahm aber nicht selbst an den Beratungen teil, weil er sich wegen des Kontakts mit einer später infizierten Mitarbeiterin seines Hauses in Quarantäne begeben hatte. Er wurde von seinem Staatssekretär Hans-Georg Engelke vertreten. Über die Ergebnisse der Herbsttagung soll am Freitag informiert werden.