Ping-Pong mit der EU und hartes Ringen mit dem Coronavirus

Boris Johnson - Bild: Andrew Parsons / No 10 Downing Street
Boris Johnson - Bild: Andrew Parsons / No 10 Downing Street

Der blaue Brief kam aus dem eigenen Kabinett: Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock alarmierte am Wochenende die Welt mit seiner Äußerung, die neue Corona-Mutation sei „außer Kontrolle“. Vor dem britischen Premierminister Boris Johnson türmen sich immer neue Probleme auf. Dazu zählt neben den verheerenden Corona-Zahlen auch das unfruchtbare Ping-Pong-Spiel mit der EU in den Post-Brexit-Verhandlungen. Und es stellt sich die Frage, wie der nassforsche konservative 56-Jährige alle diese Dossiers auf einmal in den Griff bekommen soll.

Nach der Ausbreitung einer Mutation des gefürchteten Coronavirus berief Johnson selbst eine Krisensitzung seines Kabinetts ein. Es sollte um die „Situation bezüglich des internationalen Verkehrs“ gehen. Zahlreiche Staaten stellten den Flugverkehr auf die Insel ein. Johnson hatte das Thema Corona lange unterschätzt. Noch Anfang März sagte er, er werde weiterhin jedermann die Hand schütteln, Corona hin oder her. Wenige Wochen später musste er zugeben, dass er sich mit dem Virus angesteckt hatte. Er kam sogar auf die Intensivstation eines Londoner Krankenhauses.

Das Wortgeklingel bei den Gesprächen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit kann kaum noch jemand enträtseln. Mal werden die Fischereirechte in den Vordergrund gerückt, mal geht es ums Grundsätzliche. Vielleicht werden zwei Zitate aus diesem Ping-Pong-Spiel in besonderer Erinnerung bleiben: EU-Chefunterhändler Michel Barnier bemühte zwischen den zähen Verhandlungsrunden das Wort von der „Stunde der Wahrheit“, die allmählich geschlagen habe. Doch auch Johnson wählte starke Worte: „Unsere Freunde müssen verstehen, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat, um demokratische Kontrolle ausüben zu können.“

Es hätte das Jahr des größten Triumphs für Johnson werden sollen. Immerhin hatten die Tories Ende 2019 unter seiner Führung 364 von 650 Sitzen im Londoner Unterhaus gewonnen. Johnsons Parole „Get Brexit Done“ (Vollzieht den Brexit) schien verfangen zu haben. Doch in diesem Herbst schob sich die oppositionelle Labour-Partei in einer Umfrage erstmals vor die Tories. Auch parteiintern stößt Johnson allmählich auf Widerstand, eine Gruppe von Parteikollegen wirft ihm einen autoritären Führungsstil vor. Und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon wirbt um Unterstützung der EU für eine Unabhängigkeit Schottlands „innerhalb der EU“.

Johnson hat gänzlich andere Zukunftsvisionen: Wenn die Briten die „Last“ der EU hinter sich gelassen haben, soll London als eigenständige Handelsmacht unter dem Leitwort „Global Britain“ eine Renaissance erleben. Schon als Kind wollte Alexander Boris de Pfeffel Johnson, wie er vollständig heißt, „König der Welt“ werden, wie seine Schwester einmal ausplauderte. Er erhielt als Schüler ein Stipendium für die Eliteschule Eton und studierte später an der Universität Oxford. Landesweit bekannt wurde der Blondschopf durch seine Auftritte als exzentrischer Oberklassen-Vertreter in einer Satire-Show im Fernsehen.

Nach dem Studium hatte sich Johnson zunächst als Journalist versucht. Die „Times“ setzte ihn allerdings nach einem Jahr vor die Tür, weil er ein Zitat gefälscht hatte. Von 1989 bis 1994 machte er sich als Brüsseler Korrespondent des „Daily Telegraph“ über die EU lustig. Kolumnen, in denen er sich über muslimische Frauen, Schwule, einfache Arbeiter und alleinerziehende Mütter lustig machte, verstärkten sein Image als polarisierende Persönlichkeit. Sie verhinderten nicht, dass er 2008 und 2012 zum Bürgermeister von London gewählt wurde.

2016 wurde Johnson dann Außenminister – und nach Einschätzung des Instituts Chatham House der „erfolgloseste“ Inhaber dieses Amtes seit dem Zweiten Weltkrieg. Wo Ernsthaftigkeit und Detailgenauigkeit erforderlich gewesen wäre, habe Johnson nur Sprüche geklopft. Das lässt nicht viel Gutes für die Bewältigung der jetzigen Krisen erahnen.

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