Sechs Monate im permanenten Krisenmodus: Die Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

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In zwei Wochen ist die deutsche EU-Ratspräsidentschaft vorbei. Es waren turbulente sechs Monate, die vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ständiges Krisenmanagement erforderten. Eine vorläufige Bilanz:

Brexit-Drama bis zum Schluss

Die Gespräche über das Handelsabkommen mit Großbritannien halten die EU bis zum Schluss in Atem. Die Deutschen verhandelten selbst nicht mit London, das macht im Auftrag aller Mitgliedstaaten die EU-Kommission. Scheitern die Gespräche und kommt es zum Jahreswechsel zum harten wirtschaftlichen Bruch mit London, wäre das dennoch ein deutlicher Makel in der deutschen Bilanz.

Zweite Corona-Welle

Nach dem Sommer wurde bald klar, dass die EU an der zweiten Corona-Welle nicht vorbeikommt. Eine unter deutschem Vorsitz vereinbarte „Corona-Ampel“ zur Lage in den Mitgliedstaaten wurde schnell Makulatur, weil ganz Europa dort als rotes Risikogebiet ausgewiesen wurde. Mühsam wurde dann auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zumindest eine gemeinsame Linie für die Winterferien abgestimmt, damit der Ski-Tourismus in den Alpen nicht die dritte Welle lostritt.

Impfen noch im alten Jahr

Für die Mitgliedstaaten besorgt die EU-Kommission Impfstoff gegen das Coronavirus. Sie sicherte inzwischen Verträge über bis zu zwei Milliarden Dosen – genug für alle, selbst wenn nicht alle Impfstoff-Vorhaben zum Erfolg führen. Die ersten Impfungen sollen nun auch auf deutsches Drängen hin über ein rasant beschleunigtes Zulassungsverfahren bereits ab 27. Dezember erfolgen. 

Corona-Hilfsfonds gerettet

Vier Tage und vier Nächte verhandelten die EU-Staats- und Regierungschefs im Juli, um den 750 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu vereinbaren. Doch Polen und Ungarn legten im November ihr Veto ein, weil sie die gleichzeitig vorgesehene Kürzung von EU-Haushaltsgeldern bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien nicht mehr akzeptieren wollten. Großes Lob gab es für Merkel, dass diese Blockade beim Dezember-Gipfel fiel.

Gnadenfrist für Rechtsstaatssünder

Erkauft wurde der Gipfel-Kompromiss mit einer Gnadenfrist. Ein vom deutsche EU-Vorsitz ausgearbeiteter Kompromiss sieht vor, dass bei Klagen Warschaus und Budapests vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Rechtsstaatsmechanismus vorerst keine Kürzung von EU-Geldern droht. Damit könnte sich der Start bis ins Jahr 2022 verschieben. 

Neues Klimaziel für 2030 steht

Eine ganze Nacht musste Merkel beim Dezember-Gipfel durchverhandeln, um eine Einigung auf die Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030 zu erreichen. Das stark von Kohle abhängige Polen forderte weitere Zugeständnisse bei der Unterstützung des Umbaus seiner Wirtschaft. Nur einen Tag vor dem UN-Klimagipfel konnte Merkel dann die Einigung auf eine Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 vermelden.

Asylreform erneut verschoben 

Mit großem Elan versuchte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die seit Jahren blockierte EU-Asylreform voranzubringen. Doch die angestrebte Grundsatzeinigung scheiterte erneut an der Weigerung osteuropäischer Staaten, Flüchtlinge zur Entlastung der Hauptankunftsländer im Süden aufzunehmen. Seehofer muss das Dossier unerledigt an die nachfolgende portugiesische Ratspräsidentschaft abgeben.

Abkommen mit China noch in der Schwebe

Der Abschluss des seit sieben Jahren verhandelten Investitionsschutzabkommens mit China war ein besonderes Anliegen Merkels. Doch wegen der Corona-Krise musste sie einen geplanten EU-China-Gipfel im September in Leipzig absagen. Zuletzt scheint es Fortschritte bei dem Abkommen gegeben zu haben. Diplomaten halten einen Durchbruch in den kommenden Wochen für möglich.

EU-Reformkonferenz bleibt in der Warteschleife

Schon im Mai sollte eigentlich eine groß angelegte „Konferenz zur Zukunft Europas“ mit breiter Bürgerbeteiligung starten. Unter Corona-Bedingungen war dies natürlich schwierig. Doch streiten Mitgliedstaaten und Europaparlament auch weiter über die genauen Bedingungen und die Leitung.

Erweiterungsgespräche blockiert

Der Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien in diesem Jahr ist gescheitert. Grund ist eine Blockade Bulgariens. Sofia fordert von Nordmazedonien, zuerst bei historischen und kulturellen Streitigkeiten einzulenken. Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) sprach von einem „schweren Schlag“.

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