Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht in den Umbrüchen der Corona-Krise und dem Regierungswechsel in den USA ein „Fenster der Gelegenheit“ für mehr europäische Souveränität. In den Wendejahren 1989/90 und auch nach dem Amtsantritt von Ex-US-Präsident Donald Trump sei diese Chance verpasst worden, jetzt müsse sie genutzt werden, sagte Baerbock in einer Rede am Donnerstag auf der Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung.
Es werde in den kommenden Jahren darum gehen, „unsere eigene Handlungsfähigkeit als Europäer zu untermauern“, betonte Baerbock. Die Stärke Europas sieht sie dabei „in seiner Soft Power“. Dazu gehöre insbesondere die zivile Krisenprävention. Auch gehöre es zur europäischen Tradition, bei allem Wettbewerb und aller Konkurrenz „Kooperation wo möglich“ zu suchen.
Als wichtigen inhaltlichen Punkt nannte Baerbock die europäische Stärke in der Klimapolitik. Hier zeichneten sich, ebenso wie auch in anderen Bereichen, Chancen für eine Zusammenarbeit mit der neuen US-Regierung von Joe Biden ab. Ziel müsse es sein, „eine transatlantische Allianz für Klimasolidarität zu schaffen“. Eine Möglichkeit sei die Verständigung auf einen gemeinsamen CO2-Preis oder zumindest einen gemeinsamen Ausgleichsmechanismus.
Baerbock verwies auch auf Versuche Chinas, durch sein Engagement beispielsweise bei der Elektrifizierung afrikanischer Staaten seinen Einfluss auszubauen und Abhängigkeiten zu schaffen. „Klimazusammenarbeit wird immer mehr zu einer internationalen Sicherheitsfrage“, hob die Grünen-Chefin hervor. Sie warb unter anderem für Energiepartnerschaften der EU mit Ländern südlich des Mittelmeers.
Ein weiterer zentraler Bereich sei die Digitalisierung, sagte Baerbock. Hier gehe es zunächst darum, durch internationale Zusammenarbeit „Defizite aufzuholen“. Auch wenn es bei Digitalisierung und künstlicher Intelligenz „um Rivalität um die Märkte der Zukunft gehe“, müsse es zugleich Ziel der deutschen und europäischen Politik sein, dabei „unsere Standards durchzusetzen“, etwa beim Datenschutz.
Die außenpolitische Lage beschrieb Baerbock als „einen globalen Systemwettbewerb zwischen autokratischen und demokratischen Systemen“ und zwischen Menschenrechten und Repression. Auch hier werde es auf eine gute Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa ankommen. Kritik übte Baerbock an der Unterzeichnung des Investitionsschutzabkommens der EU mit China im Dezember auf maßgebliches Betreiben der Bundesregierung, in dem Menschenrechtsfragen wie der Ausschluss von Zwangsarbeit nur „rudimentär verankert“ worden seien.