Größerer Impfabstand und Kombination von Vakzinen

Symbolbild: Spritze mit medizinischem Stoff/Impfung
Symbolbild: Spritze mit medizinischem Stoff/Impfung

Kann die zweite Corona-Impfung verschoben werden? Reicht vielleicht eine geringere Dosis? Diese Fragen beschäftigen derzeit angesichts von Engpässen bei der Impfstoffversorgung und der durch Virus-Mutationen drohenden Verschlechterung der Lage Regierungen auf der ganzen Welt.

Auch in Deutschland werden solche Strategien sehr intensiv diskutiert. Bereits Ende Dezember hieß es in einem Info-Papier des Bundesgesundheitsministeriums, aus der ursprünglich für fünf Biontech-Impfdosen vorgesehenen Durchstechflasche könnten sechs Dosen gewonnen werden. Dies sei allerdings aktuell durch die EU-Zulassung nicht abgedeckt.

Zudem lässt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Möglichkeit prüfen, den Abstand zwischen den beim Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer vorgesehenen zwei Impfungen zeitlich zu strecken, um zunächst möglichst vielen Menschen eine erste schützende Spritze zu verschaffen.

Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie hält es bei Corona-Impfstoff-Engpässen für „vertretbar, mit den jetzt vorhandenen Impfdosen möglichst vielen Menschen erst einmal die erste Immunisierung zu ermöglichen und die zweite Impfung verzögert, aber zwingend innerhalb von 60 Tagen, nachzuholen“. Der Hersteller Biontech warnt allerdings, zur Sicherheit und Wirksamkeit bei einer Streckung des Impf-Intervalls lägen keine Daten vor.

Wie so oft bei den Corona-Impfungen prescht die britische Gesundheitsbehörde voran: Auf der Insel soll der Abstand zwischen den beiden Impfungen auf bis zu drei Monate ausgedehnt werden können – statt der empfohlenen drei bis vier Wochen. Dadurch sollen mehr Menschen binnen kurzer Zeit geimpft werden können, auch wenn der Schutz für den Einzelnen dadurch etwas geringer ausfällt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) billigte am Dienstag das britische Vorgehen. Die zweite Spritze mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer könne „ausnahmsweise“ auch einige Wochen später verabreicht werden, erklärte die zuständige WHO-Expertengruppe.

In Großbritannien kann zur Auffrischung sogar ein anderer Impfstoff als bei der ersten Gabe verwendet werden, wenn der ursprüngliche nicht verfügbar ist.

Die Vereinigten Staaten sind hingegen vorsichtiger. Entscheidungen über eine Veränderung des Impfschemas seien „verfrüht“, sagte der Chef der US-Arzneimittelbehörde, Stephen Hahn, am Montagabend. Noch gebe es keine fundierte Grundlage dafür.

Auch unter Wissenschaftlern sind die Fragen umstritten. „Wir haben die Zeitspanne von drei Wochen für den Pfizer-Impfstoff oder vier Wochen für das Moderna-Vakzin nicht gewählt, weil wir wussten, dass es perfekt ist“, sagt Howard Forman, Experte für öffentliche Gesundheit an der Universität Yale. Es werde lediglich vermutet, das das der optimale Zeitpunkt für die Auffrischungsdosis sei, um die Immunität zu verstärken. 

Viele Entscheidungen in der Medizin müssten auf der Basis mangelhafter Daten getroffen werden, sagt Forman. Er hält es für vertretbar, die zweite Dosis, die als entscheidend für einen längerfristigen Schutz gilt, zu verschieben – aber nur bei Menschen unter 65 Jahren, die kein erhöhtes Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung haben.

Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna weisen nach zwei Dosen eine Wirksamkeit von etwa 95 Prozent auf. Das Moderna-Vakzin erreicht bereits nach einer Gabe einen hohen Schutz von etwa 90 Prozent, die Datengrundlage für diese Aussage ist jedoch dünn.

Der Impfforscher Saad Omer von der Universität Yale empfiehlt eine Abweichung vom Impfschema nur solchen Ländern, die nur beschränkten Zugang zu den Impfstoffen haben. In den USA sei das nicht nötig, sagt Omer.

Theoretisch müsste es funktionieren, verschiedene Impfstoffe zu kombinieren, sagt die Yale-Immunologin Akiko Iwasaki. Doch in der Praxis sollte das nur im Notfall gemacht werden, solange die Wirksamkeit nicht durch Studien belegt sei.

Die Biostatistikerin Natalie Dean von der Universität Florida fürchtet, dass die aktuelle Debatte über die Impfstrategie das Vertrauen der Bevölkerung in die Impfung erschüttern könnte. Sie mahnt, alle Änderungen des Impfschemas müssten deshalb das gleiche Genehmigungsverfahren durchlaufen, wie es bei der Zulassung des Impfstoffs angewandt wurde.

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