Vor dem US-Kapitol wird Kamala Harris am Mittwoch ihren Amtseid ablegen und damit Geschichte schreiben: Als erste Frau und erste Schwarze wird die 56-jährige Demokratin Vizepräsidentin der USA. Die Einwanderertochter mit jamaikanisch-indischen Wurzeln verkörpert damit auf politischer Ebene den „amerikanischen Traum“ – und nicht wenige sehen die Vizepräsidentschaft nur als Zwischenschritt: Harris könnte in vier Jahren das höchste Amt im Staat anstreben.
Zunächst aber stehen der bisherigen Senatorin vier harte Jahre als Vizepräsidentin bevor. Die Kalifornierin und der künftige Präsident Joe Biden übernehmen die Macht in schwierigen Zeiten. Sie müssen die verheerende Corona-Pandemie eindämmen und die Wirtschaftskrise bekämpfen, und sie haben den Wählern eine ehrgeizige Reformagenda versprochen.
Harris dürfte eine einflussreiche Vizepräsidentin werden. Biden dürfte sie mit vielen wichtigen Aufgaben betrauen, so wie er einst selbst als Stellvertreter von Präsident Barack Obama zentrale Dossiers übernahm.
Gerade bei Reformgesetzen wird Harris eine Schlüsselrolle zukommen: Als Vizepräsidentin ist sie auch Vorsitzende des Senats, in dem Demokraten und Republikaner künftig jeweils 50 Senatoren stellen. In Pattsituationen – und nur dann – wird sie mit ihrer Stimme den Ausschlag geben.
Dass sie selbst vier Jahre lang Senatorin war, wird ihr sicherlich helfen, wenn Regierung und Kongress neue Gesetze aushandeln. Sie kennt die Senatoren und die Mechanismen des Oberhauses gut.
Schon mit ihrem Einzug in den Senat Anfang 2017 hatte Harris Geschichte geschrieben: Die Tochter eines aus Jamaika eingewanderten Vaters und einer aus Indien eingewanderten Mutter wurde als erst zweite afroamerikanische Frau und erste Frau mit südasiatischen Wurzeln Senatorin. Sechs Jahre zuvor war die Juristin als erste Frau und erste Afroamerikanerin Generalstaatsanwältin ihres Heimatstaates Kalifornien geworden.
Die Karriere der charismatischen Politikerin mit dem ansteckenden Lachen ist für viele ein Symbol, dass Frauen und Vertreter von Minderheiten in der von weißen Männern dominierten US-Politik erfolgreich sein können. Ihre Mutter, eine Krebsforscherin – so sagte die im kalifornischen Oakland geborene Harris einmal – habe sie und ihre Schwester dazu erzogen, „stolze, starke schwarze Frauen zu werden“.
Nach dem Erfolg bei der Wahl vom 3. November sagte Harris in ihrer Siegesrede: „Ich bin vielleicht die erste Frau in diesem Amt, aber ich werde nicht die letzte sein.“ Und sollte der 78-jährige Biden das Weiße Haus wie erwartet nach nur einer Amtszeit verlassen, wäre sie – erfolgreiche vier Jahre vorausgesetzt – 2024 als Nachfolgekandidatin beinahe prädestiniert.
Eigentlich hatte Harris schon jetzt die erste Präsidentin der US-Geschichte werden wollen. Im Vorwahlrennen der Demokraten galt sie zwischenzeitlich als aussichtsreiche Anwärterin. Die Mitte-Politikerin hatte dann aber Schwierigkeiten, sich politisch klar zu positionieren. Immer wieder gab es auch Vorwürfe, in ihrer Zeit als kalifornische Generalstaatsanwältin habe sie bei der Kriminalitätsbekämpfung eine harte Linie verfolgt – auf Kosten von Minderheiten. Angesichts miserabler Umfragewerte warf sie Ende 2019 das Handtuch.
Biden machte sie dann im vergangenen August zu seiner Vize-Kandidatin – und das, obwohl Harris ihn im Vorwahlkampf bei einer TV-Debatte im Streit um die Diskriminierung von Afroamerikanern scharf angegriffen hatte. Beide zeigten im Wahlkampf gegen Trump aber demonstrativ Geschlossenheit und sogar tiefe Zuneigung. Harris erwies sich als loyale Mitstreiterin und versuchte nie, Biden die Show zu stehlen.
Auch in den vergangenen Wochen hielt sich die gewählte Vizepräsidentin, die mit dem Anwalt Douglas Emhoff verheiratet ist und von dessen beiden Töchtern „Mamala“ genannt wird, eher im Hintergrund. Für Wirbel sorgte nur kurz ein Titel-Foto für das Modemagazin „Vogue“: Viele kritisierten die Aufnahme, die Harris lässig in Jeans und Chucks zeigt, als respektlos gegenüber der neuen Nummer zwei der USA.
Bei ihrer Amtseinführung dürfte Harris auf einen eleganten Hosenanzug setzen. Doch unabhängig von ihrer Kleiderwahl wird sie mit ihrer Vereidigung in die Geschichtsbücher eingehen.