Im Streit um Lieferengpässe beim britisch-schwedischen Impfstoff-Hersteller AstraZeneca haben Großbritannien und die EU eine Eskalation vorerst abgewendet. Die EU-Kommission kündigte zwar Exportkontrollen für Corona-Impfstoffe an; nach scharfer Kritik aus Großbritannien rückte sie aber von dem Vorhaben ab, auch die Exporte an der Grenze zwischen Irland und Nordirland zu kontrollieren. Die Regierung in London erklärte am Samstag, sie erwarte nun für das Königreich eine Belieferung nach Plan.
Hintergrund des Streits sind Lieferengpässe bei AstraZeneca, dessen Impfstoff seit Freitag in der EU zugelassen ist. Der Konzern hatte schon vor der Zulassung bekanntgegeben, der EU zunächst deutlich weniger Impfstoff liefern zu können als vorgesehen. Die EU ist vor allem deshalb verärgert, weil Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder offenbar weiter in vollem Umfang beliefert werden. Brüssel mutmaßt daher, dass AstraZeneca für die EU vorproduzierte Impfstoffdosen in andere Länder exportiert.
Am Freitag beschloss die EU-Kommission daher eine „Ausfuhrgenehmigungspflicht“, um die Exporte von Corona-Impfstoffen aus der EU zu überwachen und gegebenenfalls zu beschränken. Alle Pharmakonzerne, die mit der EU Lieferverträge über Corona-Impfstoffe abgeschlossen haben, müssen künftige und bereits getätigte Lieferungen an Drittstaaten in Brüssel melden.
Kurzzeitig kündigte die EU sogar an, auch die Exporte zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland strenger zu überwachen – offenbar um zu verhindern, dass über Nordirland unbemerkt Impfstoff-Lieferungen aus der EU nach Großbritannien gelangen. Dazu wollte Brüssel auf eine Schutzklausel aus dem Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags zurückgreifen, die Kontrollen an der Grenze erlaubt hätte.
Das Nordirland-Protokoll war von London und Brüssel eigens ausgehandelt worden, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen zu halten und freien Warenverkehr ohne Zollkontrollen zu ermöglichen.
Großbritannien kritisierte die Pläne zu Kontrollen an der nordirischen Grenze scharf. Premierminister Boris Johnson brachte in einem Telefonat mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen „ernste Bedenken“ zum Ausdruck. Nordirlands Regierungschefin Arlene Foster nannte die Pläne der EU einen „unglaublich feindseligen Akt“. Am Samstag forderte sie sogar, das Nordirland-Protokoll ganz aufzukündigen. Es sei „nicht umsetzbar“ und könne in Nordirland zu „echten Problemen“ führen, sagte Foster in der BBC.
Angesichts des Drucks ruderte die EU-Kommission schließlich zurück: Das Nordirland-Protokoll bleibe „unberührt“, die Schutzklausel werde nicht aktiviert, erklärte sie.
Die britische Regierung begrüßte den Rückzieher. Die EU habe eingeräumt, dass sie „einen Fehler“ gemacht haben, erklärte der Staatssekretär für Kabinettsangelegenheiten, Michael Gove. Die britische Regierung sei nun „zuversichtlich“, dass für das Königreich sämtliche Lieferverträge mit den Unternehmen AstraZeneca und Biontech/Pfizer eingehalten würden.
Der britische Außenminister Dominic Raab ergänzte im Onlinedienst Twitter, EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovkis habe ihm versichert, dass die EU nicht vorhabe, die Impfstoffhersteller an der Erfüllung ihrer Lieferverträge mit London zu hindern. „Die Welt sieht zu und wir werden diese Pandemie nur durch internationale Zusammenarbeit besiegen“, fügte er hinzu.
Die EU-Kommission hatte dem AstraZeneca-Impfstoff am Freitagabend die Zulassung erteilt, nachdem die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) eine bedingte Marktzulassung für alle ab 18 Jahren empfohlen hatte.
In Deutschland kommt der Impfstoff bei Älteren aber wohl vorerst nicht zum Einsatz. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfahl im Gegensatz zur EMA die Anwendung nur für Menschen von 18 bis 64 Jahre. Laut Stiko liegen für die Beurteilung der Impfeffektivität bei älteren Menschen bisher keine ausreichenden Daten vor. Die italienische Arzneimittelbehörde empfahl den Impfstoff sogar nur für Menschen bis 55 Jahre und verwies ebenfalls auf „gewisse Unsicherheiten“ über die Wirksamkeit bei älteren Menschen.