Bidens Afghanistan-Problem – US-Präsident muss über Fortgang von Militäreinsatz am Hindukusch entscheiden

Joe Biden - Bild: Adam Schultz/White House
Joe Biden - Bild: Adam Schultz/White House

Alle Augen werden auf Joe Biden gerichtet sein, wenn der neue US-Präsident am Freitag bei der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz spricht. Die Europäer erwarten nicht nur ein neues Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis – sondern womöglich auch Hinweise auf Bidens künftige Afghanistan-Politik. Denn gemäß einem unter seinem Vorgänger Donald Trump ausgehandelten Abkommen mit den radikalislamischen Taliban sollen alle ausländischen Truppen bis Anfang Mai aus Afghanistan abgezogen sein. Das könnte das Bürgerkriegsland in neues Chaos stürzen.

Biden steht vor einem gewaltigen Dilemma: Verlängert der Präsident den in seinem Land unpopulären, seit fast 20 Jahren laufenden Militäreinsatz? Oder zieht er den Abzug durch und riskiert damit, dass die Taliban die Macht zurückerobern und Afghanistan wieder zu einem Rückzugsort für Extremistengruppen wie das Terrornetzwerk Al-Kaida wird?

Biden hat bereits eine Überprüfung der Politik seines Vorgängers angeordnet, der in seinen letzten Amtswochen die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan auf 2500 abgesenkt hatte. Und vieles deutet daraufhin hin, dass er über den April hinaus an einer Truppenpräsenz am Hindukusch festhalten wird.

Die Trump-Regierung hatte vor einem Jahr in einem Friedensabkommen mit den Taliban einen Abzug aller Truppen bis Ende April 2021 zugesagt. Im Gegenzug gaben die Taliban Sicherheitsgarantien ab und verpflichten sich zu Friedensverhandlungen mit der Regierung in Kabul.

Tatsächlich haben die Islamisten ihre Angriffe gegen US-Soldaten eingestellt. Aber die Gewalt gegen afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten hat wieder zugenommen. Experten warnen, dass die Taliban nur auf einen Abzug des Westens warten, um die schwache Regierung in Kabul zu stürzen.

Auch wenn Trump den Truppenabzug eingeleitet hat: Biden wäre dann der US-Präsident, in dessen Amtszeit Afghanistan wieder im Chaos versinkt – nach einem zwei Jahrzehnte währenden Militäreinsatz, in dessen Zuge 3500 Soldaten der Nato und ihrer Partnernationen getötet wurden.

Der Afghanistan-Einsatz, am Donnerstag auch Thema von Beratungen der Nato-Verteidigungsminister, hat Biden schon in der Vergangenheit viel Kopfzerbrechen bereitet. Als Stellvertreter von Präsident Barack Obama warnte er 2009 vor einer massiven Truppenaufstockung und warb für einen eng eingegrenzten Anti-Terror-Einsatz. Der Präsident aber hörte auf seine Generäle und schickte zehntausende zusätzliche Soldaten nach Afghanistan, um die Taliban zu bekämpfen und dem Land Stabilität und einen gewissen Wohlstand zu ermöglichen.

„Joe“, so schreibt Obama in seiner Autobiografie, habe das als „aussichtsloses, unerhört kostspieliges Nationbuilding-Unternehmen“ angesehen. Heute scheint es, als habe Biden damals Recht gehabt.

Der neue Präsident hat deutlich gemacht, dass er eine Fortsetzung des nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begonnenen Anti-Terror-Kampfs in Afghanistan für dringend notwendig hält. Nicht nur gegen Al-Kaida, sondern auch gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), die sich in Afghanistan ausgebreitet hat. Denn als Vizepräsident erlebte Biden mit, wie der IS in den Jahren nach dem US-Abzug aus dem Irak 2011 weite Teile des Landes und des Nachbarstaates Syrien eroberte.

Die Biden-Regierung scheint jetzt die Grundlagen für eine Fortsetzung der Militärpräsenz in Afghanistan zu legen. Pentagon-Sprecher John Kirby warf den Taliban kürzlich vor, ihre Zusagen nicht einzuhalten. Weder hätten die Islamisten die Gewalt zurückgefahren, noch hätten sie ihre Verbindungen zu Al-Kaida gekappt. Da sei es für die USA „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten.

Mit einer Verlängerung des internationalen Einsatzes könnte Zeit für die innerafghanischen Friedensverhandlungen gewonnen werden. Die Taliban haben aber mit neuen Angriffen auf westliche Soldaten gedroht, sollten diese nach Ende April in Afghanistan bleiben. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) warnte deswegen vor „einer erhöhten Bedrohung für die internationalen Kräfte“.

Biden muss all das abwägen. Viel Zeit für seine Entscheidung hat der US-Präsident nicht: Bis Ende April sind es nur noch zweieinhalb Monate.

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