Bleiben oder gehen: Die Nato und das Afghanistan-Dilemma

Nato - Bild: tampatra via Twenty20
Nato - Bild: tampatra via Twenty20

Seit fast zwei Jahrzehnten ist die Nato in Afghanistan. Nach dem Ende des Kampfeinsatzes gegen die radikalislamischen Taliban blieb ab 2015 eine Unterstützungsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte mit derzeit noch 10.000 Soldaten. Kommende Woche müssen die Nato-Verteidigungsminister beraten, ob sie ihre Truppen bis Mai wie geplant ganz abziehen. Die Nato sieht sich dabei vor einem Dilemma:

Warum steht die Entscheidung über den Abzug an?

Die Regierung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte den Taliban in einem Friedensabkommen vom Februar 2020 den Abzug aller internationalen Truppen in Aussicht gestellt. Termin ist der 30. April 2021. Bedingung war, dass die islamistische Miliz die Gewalt deutlich reduziert und Al-Kaida und anderen extremistischen Organisationen keine Zuflucht gewährt. Außerdem verpflichteten sich die Taliban zu direkten Friedensgesprächen mit der Regierung in Kabul.

Wie ist die Haltung der neuen Regierung von US-Präsident Joe Biden?

Bidens Regierung kündigte Ende Januar an, das Abkommen mit den Taliban auf den Prüfstand zu stellen. Das Pentagon warf der radikalislamischen Miliz vor, sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, Gewaltakte gegenüber den afghanischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung zu reduzieren und die Verbindungen zu Al-Kaida zu kappen. Biden stehe zwar zu dem Friedensabkommen, ein Abzug sei aber unter jetzigen Bedingungen „schwierig“, hieß es.

Eine vom US-Kongress beauftragte Expertengruppe schlug vor diesem Hintergrund Anfang Februar vor, „das derzeitige Abzugsdatum Mai 2021 zu verlängern, um dem Friedensprozess genügend Zeit zu geben, ein akzeptables Ergebnis zu erzielen“. Dabei dürfe es keinen „starren Zeitplan“ für den Abzug mehr geben. Dieser müsse von der Erfüllung der Bedingungen durch die Taliban abhängig gemacht werden.

Welche Risiken gibt es aus Sicht der Nato?

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht das Bündnis in der Afghanistan-Frage vor einem „echten Dilemma“. „Wenn wir entscheiden abzuziehen, gefährden wird den Friedensprozess“, sagt er. Und Afghanistan könne dann wieder „ein sicherer Hafen für internationale Terroristen werden“. Bleibe die Nato aber, „gehen wir das Risiko erhöhter Gewalt ein – auch gegen Nato-Truppen“.

Wie gefährlich könnte die Lage werden?

Die Taliban haben seit dem Friedensabkommen weitgehend auf Angriffe auf Nato-Truppen verzichtet. Nach den Vorwürfen aus Washington drohten sie, den Kampf gegen die „Besatzung“ wieder aufzunehmen. Dies könnte zu einer blutigen Eskalation führen, nachdem in Afghanistan seit 2001 bereits 3500 Soldaten der Nato und ihrer Partnernationen getötet wurden. Dabei starben auch 59 deutsche Soldaten, 35 von ihnen durch Feindeinwirkung.

Wie ist die Bundeswehr derzeit in Afghanistan aufgestellt?

Die Bundeswehr ist im Norden für eines von fünf Nato-Gebieten zuständig. Sie stellt mit rund 1100 Soldaten derzeit das zweitgrößte Kontingent nach der US-Armee, die nach einer deutlichen Truppenreduzierung unter Trump noch 2500 Soldaten im Land hat. 

Ist die Bundeswehr auf einen Abzug vorbereitet?

Die Bundeswehr habe sich auf „verschiedene Möglichkeiten“ vorbereitet, sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos. Solange es keine politische Abzugsentscheidung gebe, gehe die Armee davon aus, „dass der Einsatz weitergeht“. Gleichzeitig sei aber damit begonnen worden, den Materialbestand vor Ort zu überprüfen und einen möglichen Abzug zu organisieren. „Wir haben das Material nach Hause gebracht, das uns nicht in der Ausführung des Auftrags einschränkt.“ 

Wird kommende Woche eine Entscheidung fallen?

Das ist offen. Möglich wäre es auch, die Entscheidung später zu treffen und die Taliban aufzufordern, zuerst die vereinbarten Bedingungen zu erfüllen. Im Falle einer Verschiebung des Abzugstermins müssten umgehend Gespräche mit den Taliban darüber beginnen, die aber äußerst schwierig werden dürften. Ohne Einigung wäre die Nato voraussichtlich gezwungen, ihre Präsenz in Afghanistan wegen erwarteter Angriffe wieder deutlich zu verstärken.

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