Volkswagen haftet im Dieselskandal – doch ob das automatisch auch für seine Konzerntochter Audi gilt, das ist vor dem Bundesgerichtshof (BGH) noch offen. Der zuständige sechste Zivilsenat ließ am Dienstag in einer Verhandlung in Karlsruhe aber erkennen, dass er ein früheres Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg voraussichtlich aufheben wird. Dieses hatte Audi zu Schadenersatz gegenüber einem Gebrauchtwagenkäufer verpflichtet. (Az. VI ZR 505/19)
Der Mann hatte den Audi wenige Monate vor Bekanntwerden des Dieselskandals im Spätsommer 2015 für knapp 27.000 Euro gekauft. In dem Auto war ein von VW hergestellter Dieselmotor mit illegaler Abschalteinrichtung verbaut. Diese bewirkte, dass die Abgasreinigung nur im Laborbetrieb korrekt funktioniert, die Stickoxid-Grenzwerte beim normalen Fahren auf der Straße aber überschritten wurden.
Ende 2018 verklagte der Käufer Audi auf Rückzahlung des Kaufpreises. Das Landgericht Halle gab ihm Recht. In der Berufung bestätigte das Naumburger OLG das Urteil weitgehend, rechnete aber die jahrelange Nutzung des Fahrzeugs an und sprach dem Kläger etwa 20.000 Euro zu. Der BGH verhandelte nun die von Audi dagegen eingelegte Revision und die Anschlussrevision des Käufers, der die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils beantragte.
In Revisionen beurteilt der BGH Fälle nicht inhaltlich neu, sondern überprüft die Urteile der Vorinstanzen. Hier bemängelte er mehrere Rechtsfehler. Das OLG habe nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei Audi sittenwidrige Entscheidungen getroffen worden seien, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Nach der Darstellung hielt er es nicht für erwiesen, dass die Verantwortlichen bei Audi von der Manipulierung des Motors wussten.
Es sei unklar, ob Audi-Mitarbeiter in die Entscheidung für die illegale Abschalteinrichtung oder den Einbau solcher Motoren eingebunden gewesen seien. Eine vorsätzliche Schädigung habe das OLG ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Es begründe demnach auch nicht, dass Audi hier interne Vorgänge genauer ausleuchten müsse. Vielmehr sei es am Kläger, die Verantwortung der Unternehmensspitze darzulegen.
Sollte der Senat auch nach der Verhandlung vom Dienstag und der anschließenden Beratung bei dieser Meinung bleiben, würde er das Urteil zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverweisen. Der Anwalt des Klägers zeigte sich überrascht. Er verwies auf die Rechtsprechung anderer Gerichte. Im November hatte das OLG München in mehreren Verfahren entschieden, dass Audi für manipulierte VW-Motoren in seinen Autos haftet.
Der BGH selbst hatte in einem Grundsatzurteil im Mai 2020 entschieden, dass VW den Käufern manipulierter Dieselautos grundsätzlich Schadenersatz zahlen muss. Dabei ging es allerdings um Klagen gegen den Mutterkonzern selbst, nicht gegen die Tochter Audi.
Rechtsanwalt Claus Goldenstein, der damals den Kläger vertrat, äußerte sich nach der Verhandlung vom Dienstag ebenfalls überrascht. Die Mehrheit der Rechtsexperten sei eigentlich von einem verbraucherfreundlichen Urteil ausgegangen, teilte er mit, da Audi in der Vergangenheit nicht habe belegen können, dass der Dieselskandal konzernintern unbekannt gewesen sei.
Einer der Anwälte von Audi zeigte sich „angesichts der hohen Hürden“, die der BGH nun errichtet habe, dagegen zuversichtlich – auch für eine mögliche Neuverhandlung vor dem Naumburger OLG. Ein Termin für die Urteilsverkündung am BGH steht noch nicht fest.