Aung San Suu Kyi hat ihr Leben dem Kampf um die Freiheit Myanmars gewidmet – und büßt dafür erneut mit Gefangenschaft. Nach bereits 15 Jahren unter Hausarrest während der Militärdiktatur wurde die 75-jährige De-facto-Regierungschefin am Montag von der Armee in Gewahrsam genommen, einmal mehr übernahmen die Streitkräfte die Kontrolle über das südostasiatische Land. Niemand verkörpert den demokratischen Wandel in Myanmar mehr als „Mutter Suu“, wie das Volk sie liebevoll nennt. Im Ausland hatte das Image der Friedensnobelpreisträgerin zuletzt jedoch Risse bekommen.
Im November gewann Suu Kyis Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) zum zweiten Mal nach 2015 die Parlamentswahl mit einem Erdrutschsieg. Am Montag hätte das neugewählte Parlament erstmals zusammentreten sollen – Myanmars Freiheitsikone wäre wohl um weitere fünf Jahre zur „Staatsrätin“ und damit De-facto-Regierungschefin ernannt worden.
Doch die seit dem Ende der Militärdiktatur 2011 immer noch einflussreiche Armee wollte ihrem Machtverlust offenbar nicht weiter zusehen. Die Führung entschied sich dafür, die Galionsfigur des Landes wieder einmal in Haft zu nehmen – in der Hoffnung, die Demokratie in Myanmar zu zerschlagen.
Die zierliche, aber durchsetzungsstarke „Lady“ ist in Myanmar allgegenwärtig. Ihr Konterfei prangt an den Wänden vieler Haushalte – oft neben dem ihres Vaters, dem 1947 ermordeten Unabhängigkeitskämpfer und Nationalhelden Aung San. Geboren im Juni 1945, war Suu Kyis Weg in die Politik zunächst alles andere als vorgezeichnet.
Als Tochter von General Aung San wurde sie in den besten Schulen Ranguns unterrichtet, bevor sie 1969 zum Studium an der Universität Oxford nach Großbritannien zog. 1972 heiratete sie den britischen Akademiker Michael Aris und bekam zwei Kinder mit ihm.
Wegweisend wurde für Suu Kyi das Jahr 1988: Während sie ihre kranke Mutter in ihrer Heimat pflegte, erlebte sie, wie das Militär eine Demokratiebewegung blutig niederschlagen ließ. 3000 Menschen starben. Sie blieb und gründete mit anderen Oppositionellen die NLD. Die Junta reagierte prompt: Im Juli 1989 wurde Suu Kyi erstmals unter Hausarrest gestellt – wenige Monate vor dem haushohen Sieg ihrer NLD bei der Parlamentswahl 1990. Die Militärregierung erkannte das Ergebnis nie an.
1991 erhielt sie im Hausarrest den Friedensnobelpreis. Das Militär bot ihr an, sie könne das Land jederzeit verlassen. Suu Kyi entschied sich jedoch gegen ihre Freiheit und damit auch gegen ihre in Großbritannien lebende Familie.
Ihre Söhne wuchsen ohne die Mutter auf, Suu Kyis Mann starb ohne seine Frau an der Seite 1999 an Krebs. Erst 2010 hob das Militär im Zuge der schrittweisen Machtübergabe die Gefangenschaft Suu Kyis auf. Insgesamt hatte sie bis dato rund 20 Jahre entweder in Haft oder im Hausarrest verbracht.
International wurde sie lange als Hoffnungsträgerin gefeiert, bis sie wegen der Verfolgung der muslimischen Rohingya-Minderheit in Myanmar unter Druck geriet. Mehr als 700.000 Menschen flohen 2017 ins benachbarte Bangladesch, die „Lady“ äußerte sich nur spärlich zu den Menschenrechtsverletzungen und verteidigte das Vorgehen der Armee. Sogar die Aberkennung ihres Nobelpreises wurde von einigen gefordert.
Zwar gewann Suu Kyis NLD die Wahlen 2015 und 2020 – doch das Militär blieb einflussreich. Mit einem windigen Trick erreichten sie, dass Suu Kyi laut Verfassung nicht Präsidentin werden konnte – weil sie mit einem Ausländer verheiratet war. Ein Viertel der Sitze im Parlament sind der Armee vorbehalten, eine Verfassungsänderung ist ohne das Militär unmöglich. Somit gestaltete sich Suu Kyis Regieren in den vergangenen Jahren als Drahtseilakt – der vorläufig ein Ende gefunden hat.