Schneller weg vom Kohlestrom: Die Auswirkungen der Corona-Krise öffnen der Politik nach Einschätzung von Klimaforschern ein Fenster der Gelegenheit für eine raschere Abkehr von fossiler Energiegewinnung. Wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mitteilte, führte die Pandemie nicht nur zu einem vorübergehenden Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen, sondern senkte insbesondere auch den Kohleanteil an der Stromproduktion ab. Damit könnten – „unterstützt durch die richtigen klimapolitischen Maßnahmen“ – die Emissionen des Stromsektors schneller sinken als bisher angenommen.
Einer am Montag veröffentlichten Studie der Forscher zufolge wurden fossile Brennstoffe im Jahr 2020 teilweise aus dem Stromerzeugungsmix verdrängt und die globalen CO2-Emissionen des Stromsektors sanken um rund sieben Prozent. Würden allein Indien, die USA und die europäischen Länder betrachtet, ergebe sich ein „noch dramatischeres“ Bild: „In diesen Schlüsselmärkten, in denen die monatliche Stromnachfrage im Vergleich zu 2019 um bis zu 20 Prozent zurückging, sanken die monatlichen CO2-Emissionen um bis zu 50 Prozent“, erklärte das Institut.
„Kohle ist von der Corona-Krise härter getroffen worden als andere Stromquellen – und der Grund dafür ist einfach“, erklärte PIK-Forscher und Leitautor Christoph Bertram. „Wenn die Nachfrage nach Strom sinkt, werden in der Regel zuerst die Kohlekraftwerke abgeschaltet.“ Denn der Prozess der Verbrennung verursache ständig Kosten. „Die Anlagenbetreiber müssen für jede einzelne Tonne Kohle bezahlen. Erneuerbare Energien wie Wind- und Solaranlagen haben dagegen, einmal gebaut, deutlich geringere Betriebskosten – und laufen auch dann weiter, wenn die Nachfrage sinkt.“
Die Forscher schätzen, dass die Emissionen ihr Allzeithoch von 2018 wahrscheinlich nicht mehr erreichen werden. „Aufgrund der anhaltenden Krise erwarten wir, dass die Stromnachfrage 2021 etwa auf dem Niveau von 2019 liegen wird, was angesichts der laufenden Investitionen in eine kohlenstoffarme Stromerzeugung eine geringere fossile Erzeugung als in diesem Jahr bedeutet“, erklärte Mitautor Gunnar Luderer vom PIK.
Solange dieses Wachstum sauberer Stromerzeugung den Anstieg der Stromnachfrage übersteige, würden die CO2-Emissionen des Stromsektors sinken. Nur bei einer „ungewöhnlich hohen Stromnachfrage in Kombination mit einem überraschend geringen Zubau an erneuerbaren Kraftwerken“ in den Jahren 2022 bis 2024 und darüber hinaus würde die fossile Stromerzeugung wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückfallen, erläuterte Luderer.
Die Pandemie habe „die Marktposition der Kohleverstromung geschwächt und ihre Anfälligkeit vor Augen geführt“, betonte das Institut. „Unsere Studie zeigt, dass es nicht nur ökologisch unverantwortlich, sondern auch ökonomisch sehr riskant ist, in fossile Energieträger zu investieren“, erklärte PIK-Direktor Ottmar Edenhofer.
Zwar sei am Ende sicherlich auch eine zusätzliche CO2-Bepreisung nötig, „um die Emissionen im erforderlichen Tempo zu senken und unser Klima zu stabilisieren“, fügte er hinzu. Doch die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Stromerzeugungssektor hätten die politischen Entscheidungsträger in eine „günstige Lage“ gebracht: „Mit weiteren Maßnahmen wie der Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe oder der Erhöhung von Investitionen in Wind- und Solarenergie ist es nun einfacher als je zuvor, der klimaschädlichen Stromerzeugung ein Ende zu setzen.“