Die Nato schließt einen Verbleib in Afghanistan über Ende April hinaus nicht aus, wenn die radikalislamischen Taliban nicht die Bedingungen für einen Abzug erfüllen. „Während kein Verbündeter länger als nötig in Afghanistan bleiben will, werden wir nicht gehen, bevor die Zeit reif ist“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag. Die diese Woche tagenden Nato-Verteidigungsminister würden die Entwicklung der Situation vor Ort „sehr genau bewerten“.
Die Regierung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte den Taliban in einem Friedensabkommen vom Februar 2020 den Abzug aller internationalen Truppen in Aussicht gestellt. Eine Voraussetzung waren Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul, die bisher aber noch nicht zu einem Ergebnis geführt haben.
Stoltenberg verwies zudem darauf, dass die Taliban nicht wie zugesagt die Gewalt ausreichend reduziert hätten und mehr tun müssten, um Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen wie Al-Kaida zu kappen. Afghanistan dürfe nicht erneut „ein sicherer Hafen“ für internationale Terroristen werden, die dort Angriffe auch auf Nato-Länder planten und vorbereiteten.
Die Zukunft der Nato-Präsenz hänge damit von der Erfüllung von Bedingungen ab, stellte Stoltenberg klar. Er könne den Beratungen der Minister in ihrer Video-Konferenz am Donnerstag aber nicht vorgreifen.
Im Bündnis hieß es am Montag weiter, eine endgültige Entscheidung werde diese Woche zu Afghanistan noch nicht erwartet. Es wurde darauf verwiesen, dass die Überprüfung des Afghanistan-Kurses unter der neuen Regierung von Präsident Joe Biden noch nicht abgeschlossen ist.
Die Nato-Mission „Resolute Support“ hat nach einer deutlichen Reduzierung der US-Truppen unter Trump derzeit noch rund 10.000 Soldaten am Hindukusch. Seit dem Ende des Kampfeinsatzes gegen die Taliban Ende 2014 dient sie dazu, die afghanischen Sicherheitskräfte zu beraten und auszubilden. Die Bundeswehr stellt nach den USA mit rund 1100 Soldaten derzeit das zweitgrößte Truppenkontingent.
Schon am Mittwoch beraten die Minister zunächst über die Reform des Bündnisses. Stoltenberg soll dazu einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs später in diesem Jahr konkrete Vorschläge unterbreiten.
Der Norweger will nach eigenen Angaben unter anderem vorschlagen, die Nato stärker als Forum für transatlantische Fragen zu nutzen. Dies könne etwa auch wirtschaftliche Themen oder Technologiefragen einbeziehen, sagte er. Er schlug auch vor, dass sich nicht nur die Außen- und Verteidigungsminister regelmäßig treffen, sondern auch die nationalen Sicherheitsberater der Mitgliedstaaten.
Zudem will Stoltenberg „die Finanzierung der Nato für unsere Kernaktivitäten in den Bereichen Abschreckung und Verteidigung erhöhen“. Er verwies darauf, dass bisher die Mitgliedstaaten, die sich an Einsätzen beteiligten, diese auch finanzieren müssten. Stoltenberg schlug vor, dass die Kosten für laufende Operationen aus dem Nato-Budget bezahlt werden, das damit deutlich größer werden müsste.
Stoltenberg zufolge könnte dies auch zu einer besseren Lastenteilung im Bündnis führen, die unter Trump ein Dauerstreitthema mit den USA war. Dem Generalsekretär zufolge werden in diesem Jahr neun der 30 Nato-Staaten das Bündnisziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen – einer weniger als im vergangenen Jahr. Bei Deutschland dürften es 1,55 Prozent sein.