Von der Leyen im Kreuzfeuer: Kritik an EU-Kommissionschefin wegen Corona-Impfstoffbeschaffung wächst

Ursula von der Leyen - Bild: European Union, 2020
Ursula von der Leyen - Bild: European Union, 2020

Geheime Lieferverträge, schlechte Kommunikation und schließlich eine Panne, die den Frieden in Nordirland bedrohte – die Kritik an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wegen ihrer Impfstoffstrategie gegen die Corona-Pandemie reißt nicht ab. Nun kommt die Frage auf, ob die CDU-Politikerin ihrer Aufgabe als Chefin der wichtigsten EU-Behörde gewachsen ist.

Dabei war der Auftrag, Lieferverträge mit potenziellen Impfstoffherstellern abzuschließen, für von der Leyen zunächst vor allem eine Chance. Gesundheitssystem, Grenzschließungen, Lockdown-Maßnahmen – in den wichtigsten Punkten des Kampfes gegen die Pandemie entschieden die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene. Die Rufe nach mehr Koordinierung aus Brüssel verhallten hingegen zumeist.

In einem seltenen Moment der Einigkeit beschlossen die 27 EU-Länder dann im Sommer, bei der Beschaffung von Impfstoffen keine nationalen Verträge auszuhandeln, sondern die gemeinsame Verhandlungsmacht zu nutzen: Es gelte, einen Wettlauf zwischen den Mitgliedsstaaten zu verhindern, hieß es.

Von der Leyens Stunde schien gekommen. Sie erklärte die Angelegenheit zur Chefsache und schloss noch Monate, bevor der erste Impfstoff gegen das Coronavirus regulär verabreicht wurde, Vorvereinbarungen mit sechs Herstellern. Auch von den mittlerweile zugelassenen Impfstoffkandidaten von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca sicherte sich Brüssel jeweils hunderte Millionen Dosen.

Produktion und Auslieferung liefen dann aber nur schleppend an. Bislang wurden in der EU deutlich weniger Menschen geimpft als etwa in Israel oder Großbritannien. Neben der AfD heizte auch die SPD zeitweise die Debatte an, ob Deutschland mit eigenen Verträgen mit den Herstellern nicht besser dagestanden hätte.

Von der Leyen habe mit ihrer Kommunikation „zu große Erwartungen geweckt“, sagt Eric Maurice vom Brüsseler Schuman-Institut. „Dabei war bekannt, dass viele Impfstoffe im Januar noch nicht zur Verfügung stehen würden.“ Der Vorwurf, sie neige dazu, kritische Sachverhalte zu beschönigen, war bereits zu von der Leyens Zeit als Bundesverteidigungsministerin laut geworden.

Hinzu kam die Debatte um massive Verzögerungen im Lieferzeitplan des Herstellers Astrazeneca. Brüssel warf dem schwedisch-britischen Pharma-Unternehmen vor, nur die Lieferungen an die EU, nicht aber an Großbritannien zu reduzieren. Der Streit drohte zeitweise die Beziehungen zu dem Ex-EU-Mitglied ernsthaft zu beeinträchtigen – und von der Leyen machte erneut keine gute Figur.

Zentral war die Entscheidung in ihrem engsten Umfeld, Exportkontrollen für Impfstoffe an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland zu ermöglichen. Ausgerechnet an der Grenze, die Brüssel in den Brexit-Verhandlungen mit London unter Verweis auf den Friedensprozess in der ehemaligen Bürgerkriegsregion um jeden Preis offen halten wollte.

Die Kommission ruderte noch am selben Tag wieder zurück, aber in Dublin und Belfast rumorte es. Auch blieb unklar, wie es zu dieser Entscheidung gekommen war. Ein EU-Diplomat verwies auf den „gewaltigen“ Druck, der vor allem aus Berlin, aber auch aus Paris auf von der Leyen ausgeübt werde. Dies habe erst zu den Exportbeschränkungen für Corona-Impfstoffe und letztlich zu der Nordirland-Panne geführt.

Der Diplomat sieht außerdem kritisch, dass „sie sich mit einem kleinen Kreis hauptsächlich deutscher Mitarbeiter umgibt“. Der Bewältigung der Gesundheitskrise als EU sei das sicher nicht zuträglich. „Von der Leyens Position ist ernsthaft geschwächt und sie saß schon vorher nicht fest im Sattel.“

Fabian Zuleeg vom Brüsseler Thinktank European Policy Center sieht es gelassener: „Sicherlich wurden Fehler gemacht“, aber diese massenhafte Impfstoffbeschaffung sei ja auch „Neuland“. Mit einem Rücktritt von der Leyens rechne er nicht. Sie werde jetzt aber endlich inhaltlich und in ihrer Kommunikation beweisen müssen, „dass sie ihrer Aufgabe gewachsen ist“, sagt Maurice vom Schuman-Institut.

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