Auch Meuthen konnte die Verdachtsfall-Einstufung der AfD nicht verhindern

Jörg Meuthen - Bild: AfD/Bundespartei
Jörg Meuthen - Bild: AfD/Bundespartei

Der Zeitpunkt hätte für die AfD kaum schlechter sein können: Sie geht mit dem Stempel „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ ins Superwahljahr 2021. Der Verfassungsschutz sieht bei der gesamten AfD Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen und ermöglicht damit den Einsatz vielfältiger Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung: V-Leute, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen oder Tarnpapiere. Abgeordnete sowie die Kandidaten für die anstehenden Wahlen sind allerdings davon ausgenommen.

In Parlamentskreisen wurde die Einstufung am Mittwoch bestätigt, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) selbst äußert sich zu dem Thema vorerst nicht. Die Nachricht aus Köln – von der die Partei am frühen Morgen über die Medien erfuhr – ist vor allem eine Niederlage von Parteichef Jörg Meuthen: Monatelang positionierte er sich gegen die radikalen Kräfte in der AfD, um diese zur Mäßigung und den Verfassungsschutz um seine Argumente zu bringen. 

Dabei ging Meuthen ein hohes Risiko ein: Auf dem Parteitag Ende 2020 in Kalkar ging er rechte Provokateure in den eigenen Reihen scharf an – einschließlich der Aufforderung, die AfD zu verlassen. Das rechte Lager schäumte vor Wut, Fraktionschef Alexander Gauland nannte die Rede „spalterisch“. 

Die Machtfrage entschied Meuthen in Kalkar knapp für sich. An der tiefen Spaltung der Partei änderte das jedoch nichts: Je entschlossener Meuthen agierte, desto enger formierten sich die radikalen Kräfte um den Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. So zeigte sich dieser demonstrativ mit dem Brandenburger Andreas Kalbitz, dessen Parteimitgliedschaft auf Druck Meuthens annulliert worden war. Auch der Unterstützung Gaulands können sich die AfD-Rechtsaußen sicher sein.

Um eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz abzuwenden, hatte Meuthen schon vor einem Jahr für die Trennung vom rechten „Flügel“ plädiert. Kurz darauf sprach er allerdings von einem Fehler – der nicht abgestimmte Vorstoß hatte ihm heftige Kritik eingebracht, neben Gauland und Höcke protestierte auch Meuthens Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla.

Wenig später stufte der Verfassungsschutz den „Flügel“ als „gesichert rechtsextremistische Bewegung“ und damit als Beobachtungsobjekt ein. Die Gruppierung wurde daraufhin formal aufgelöst – für Gauland kein Problem, er hatte Höcke längst in der „Mitte der Partei“ verortet.

Schon im Herbst 2018 setzte der AfD-Vorstand eine Arbeitsgruppe zum Thema Beobachtung ein – auch aus Sorge um die AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst. Diese müssen einen Eid auf die Verfassung ablegen und verpflichten sich, das Grundgesetz zu schützen. Mitglieder eines Beobachtungsobjektes würden wohl Probleme mit ihrer Dienststelle bekommen, hatte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang schon vor einiger Zeit betont.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig, Ende 2020 auf Druck Meuthens als Leiter dieser Arbeitsgruppe abgesetzt, meldete sich am Mittwoch als einer der ersten zu Wort. Auf Twitter fragte er, ob Meuthen „von diesem offensichtlich politisch instrumentalisierten Verfassungsschutz wirklich etwas anderes erwartet“ habe. Der Angesprochene reagierte umgehend: „Nun, Herr Hartwig, haben wir genau die Situation, die einige in der Partei förmlich herbeigesehnt, vor allem aber herbeigeredet haben!“

Bei aller Zerrissenheit einte die Partei am Mittwoch die Empörung über den Verfassungsschutz. Es sei ein „Skandal“, dass sich das Bundesamt nicht an seine vor Gericht abgegebene Stillhaltezusage gehalten und die Hochstufung der AfD „umgehend an die Presse durchgestochen“ habe. Das drohe die AfD „gerade in einem Superwahljahr massiv zu schädigen“, erklärten Meuthen und Chrupalla.

Die Parteichefs kündigten an, durch Ausschöpfung aller rechtlicher Möglichkeiten „diesen Schaden so weit wie irgend möglich abzuwenden“. Ein erster Stimmungstest steht mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in zehn Tagen an. Schon da könnte sich zeigen, ob AfD-Anhänger von der neuen Lage abgeschreckt werden – oder im Gegenteil eine Jetzt-erst-recht-Stimmung entsteht, zu der die AfD schon in früheren Wahlkämpfen aufgerufen hatte.

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