In einer schicken Klinik in Washington nimmt Hudson Young unter dem prüfenden Blick eines Schönheitschirurgen seine Maske ab. Wie eine wachsende Zahl von US-Bürgern hat Young inmitten der Corona-Pandemie beschlossen, dass der richtige Zeitpunkt für eine Schönheitsoperation gekommen war. Schließlich ist der angehende Immobilienmakler während der Videokonferenzen im Home-Office plötzlich stundenlang mit seinem eigenen Aussehen konfrontiert. Und er weiß, dass er sich dank Home-Office in Ruhe zuhause von der OP erholen kann, ohne Urlaub nehmen zu müssen.
„Als ich mich zum ersten Mal auf Zoom gesehen habe, dachte ich: Oh – igitt“, erzählt der 52-Jährige, während Chirurg Michael Somenek mit den Fingerspitzen die kaum sichtbaren Narben untersucht. „Und es gibt Grenzen dabei, was man mit guter Beleuchtung und einem guten Winkel ausgleichen kann.“ Young war zuvor schon Fan von Botox-Spritzen, doch im Oktober legte er sich zum ersten Mal unters Skalpell. Er ließ seine untere Gesichtshälfte und den Hals liften, beide Augenlider korrigieren und seine Gesichtshaut per Laser glätten.
Young ist nicht der einzige, den sein Anblick auf dem Bildschirm im vergangenen Jahr erschreckt hat. Nach Angaben des Branchenverbandes American Society of Plastic Surgeons ist die Zahl der Online-Konsultationen für kosmetische Eingriffe bei US-Chirurgen seit Beginn der Corona-Pandemie um 64 Prozent in die Höhe geschnellt. Botox-Spritzen, Faltenunterspritzung, Brustvergrößerungen und Fettabsaugungen gehören hier zu den beliebtesten Leistungen.
„Wir haben auf jeden Fall einen Anstieg der Zahlen chirurgischer kosmetischer Eingriffe gesehen, die die Leute machen lassen wollen und die direkt mit Zoom zusammenhängen“, sagt Somenek – hier liege die Steigerung bei 50 bis 60 Prozent. „Am stärksten nachgefragt werden die oberen Augenlider oder der Hals. Weil die Leute in der Kamera sehen, wie ihr Hals herunterhängt oder wie ein Doppelkinn aussieht.“
„Die Pandemie hat allen Zeit gegeben, sich zurückzuziehen und sich um die Dinge zu kümmern, die wir immer vor uns herschieben“, sagt Ana Caceres. Die Pressesprecherin hat sich im Haus ihrer Eltern außerhalb von Washington von einer Operation zur Korrektur und Straffung ihrer Hängebrüste erholt, für die sie sich schon seit ihrer Teenagerzeit immer geschämt hatte. „Ich musste mir nicht die ganze Zeit freinehmen, weil ich vom Bett aus mit meinem Laptop arbeiten konnte“, sagt die 25-Jährige. „Wenn das Leben normal läuft und man ständig irgendwo hin muss, schiebt man Dinge immer weiter vor sich her.“ Als Nächstes hat sie eine Fettabsaugung am Arm geplant.
Nach Einschätzung ihrer Chirurgin Catherine Hannan haben sich die Behandlungen in ihrer Klinik in der US-Hauptstadt seit Beginn der Pandemie fast verdoppelt. „Unsere Patienten haben mehr Zornesfalten, weil sie im vergangenen Jahr so viel Stress hatten“, sagt sie. Neben dem ästhetischen Aspekt könne eine Schönheits-OP auch psychologische Auswirkungen haben. „Es ist eine Möglichkeit für Patienten zu sagen: ‚Ich kann nicht reisen, ich kann meine Familie nicht sehen, aber damit kann ich jetzt dafür sorgen, dass ich mehr Selbstvertrauen habe.“