Nach Hinweisen auf mögliche Nebenwirkungen sind die Corona-Impfungen mit dem Impfstoff von Astrazeneca nun auch in Deutschland vorerst gestoppt. Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa hält das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) weitere Untersuchungen für notwendig, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag mitteile.
Spahn sprach von sieben berichteten Fällen bei bislang 1,6 Millionen Erstimpfungen mit Astrazeneca in Deutschland. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffes auswirken, sagte der Minister weiter. Spahn hofft auf eine Entscheidung noch in dieser Woche. Der vorläufige Stopp betreffe sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen. Mit letzteren könne nach einer Entscheidung zugunsten einer weiteren Verwendung des Vakzins fortgefahren werden.
Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, betonte Spahn. „Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst.“ Es müsse jetzt auch die Frage geklärt werden, ob der Nutzen der Impfung weiter größer sei als die möglichen Risiken. „Eines ist klar: auch Nichtimpfen hat schwere gesundheitliche Folgen.“
Nach der Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums teilten auch die Bundesländer mit, dass die Impfungen ausgesetzt werden. Diesen Schritt gingen auch Frankreich und Italien, nachdem zuvor bereits andere Länder die Verabreichung des Vakzins unterbrochen hatten.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) haben die vorgeschriebene Zweitimpfung erst 217 Menschen erhalten. Bis Sonntag wurden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums insgesamt 3.062.400 Dosen Impfstoff von Astrazeneca an Deutschland ausgeliefert.
Spahn empfahl den mit Astrazeneca Geimpften, bei deutlichen Beschwerden unverzüglich einen Arzt aufzusuchen. Dies gelte insbesondere für Menschen, die sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlten, die unter starken Kopfschmerzen beziehungsweise „punktförmigen Hautblutungen“ litten.
Bei der Analyse des neuen Datenstands stellte das PEI nach eigenen Angaben eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit AstraZeneca fest.
Die Bundesregierung hatte zunächst auf eine Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen verzichtet, nachdem am Donnerstag Dänemark diesen Schritt gegangen war. Es folgten Norwegen, Island sowie die EU-Länder Bulgarien, Irland und am Sonntagabend dann auch die Niederlande. Österreich, Estland, Lettland, Litauen und Luxemburg setzten die Nutzung von einer bestimmten Astrazeneca-Charge aus, Italien und Rumänien stoppten die Nutzung einer anderen Charge.
Kritik am vorläufigen Impfstopp kam aus der SPD. „Ich halte das für einen Fehler“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem ZDF. Das Vertrauen in Astrazeneca werde weiter zurückgehen, „dabei gibt es keine neuen Daten, die den Stopp rechtfertigen“, sagte Lauterbach weiter.
Irritiert äußerte sich auch die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. „Die neueste Generation der Antibabypille hat als Nebenwirkung Thrombosen bei acht bis zwölf von 10.000 Frauen“, schrieb sie im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Hat das bisher irgendwen gestört?“
Der britisch-schwedische Hersteller des Vakzins wies die Bedenken zurück. Mitentwickler Andrew Pollard, Leiter der Oxford Vaccine Group, erklärte am Montag, es gebe „sehr beruhigende Beweise“, dass das Vakzin in Großbritannien – bislang sein Haupteinsatzgebiet in Europa – nicht zu einer Zunahme von Blutgerinnseln geführt habe.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz machte Spahn schwere Vorwürfe. Am Montagvormittag habe es mit Blick auf Astrazeneca noch „Weiter so“ geheißen. „Und am Nachmittag wird alles gestoppt“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur AFP. Spahn „zündet einen Flächenbrand“.