Die Corona-Pandemie trifft offensichtlich die unteren Einkommensschichten besonders stark. Bis Ende August 2020 mussten bereits 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Freitag unter Berufung auf den Entwurf des sechsten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung berichtete. Darunter zu leiden hätten vor allem Gering- und Normalverdiener.
Bei einer Unterteilung der Bevölkerung in fünf gleich große Teile würden gut 30 Prozent der Befragten im untersten Einkommensteil von Problemen bei der Deckung der laufenden Ausgaben berichten, hieß es in dem Bericht. Besonders betroffen seien Selbstständige. Die mit der Pandemie verbundenen Einkommensrisiken seien in den unteren Einkommensbereichen größer, auch weil diese Menschen „wenig Rücklagen oder andere finanzielle Spielräume“ haben.
Auch auf dem Arbeitsmarkt trifft die Pandemie die Schwächeren in der Gesellschaft dem Bericht zufolge härter. Wer eine geringere Qualifikation habe, habe ein größeres Risiko, seinen Job zu verlieren. „Die bereits vorher großen Herausforderungen, Langzeitarbeitslose und die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommenen Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dürften sich somit verstärkt haben“, zitiert das Blatt aus der Regierungsanalyse.
Der bislang fast 500 Seiten starke Bericht mit dem Titel „Lebenslagen in Deutschland“, den das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre vorlegt, ist noch ein Entwurf. Er wird derzeit von anderen Ressorts ergänzt, enthält aber der Zeitung zufolge schon jetzt Zündstoff für die kommenden Wahlen.
So stelle die Bundesregierung zum Thema Aufstiegsmobilität in Deutschland selbstkritisch fest: „Dass aus der Armut heraus nur in geringem Umfang Aufstiege in die Untere Mitte oder gar in Lagen darüber hinaus gelangen, zeigt die hohe Brisanz dieser verfestigten Lage.“ Die Aufstiegschancen seien „seit Beginn der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre deutlich zurückgegangen“. Zudem verliere die „Mitte“ an Größe, weil immer wieder Menschen den Sprung nach oben schaffen würden, während nur wenige aus den unteren Lagen nachkämen.
Wie schon in den früheren Armuts- und Reichtumsberichten enthält die Regierungsanalyse dem Bericht zufolge auch Aussagen zu der Frage, wie die Vermögen in Deutschland verteilt sind. Demnach entfielen auf die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung rund ein Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinten.
„Für die Ergebnisse dieses Berichts muss sich die Bundesregierung schämen“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Soziale Ungleichheit verfestige sich, „während gleichzeitig die obere Hälfte der Bevölkerung 99,5 Prozent des Gesamtvermögens besitzt“. Um der zunehmenden Spaltung entgegenzuwirken, verlangte Piel die Wiedererhebung der Vermögenssteuer, „eine wirkungsvolle Erbschaftssteuer sowie die stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen“.
„Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und die Erfahrung von immer mehr Menschen, in der Krise hängen gelassen zu werden, ist Gift für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt“, erklärte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Die soziale Ungleichheit müsse endlich „wirksam und gezielt bekämpft werden“.
Der katholische Sozialverband Caritas forderte, „einer Verfestigung von Armut im Lebenslauf“ entgegenzutreten. Dabei müssten die Betroffenen in die Suche nach Lösungen einbezogen werden.