Von „Katastrophe“ über „unverständlich“ bis zu „ersten Schritten“ hin zu einer Öffnungsperspektive: Die Bund-Länder-Beschlüsse zur Corona-Krise sind in der Wirtschaft auf ein geteiltes Echo gestoßen. Besonders der Einzelhandel und die Gastronomie kritisierten am Donnerstag, bis auf wenige Ausnahmen ändere sich am Lockdown faktisch nichts. Branchen mit großen Verkaufsflächen wie die Möbelindustrie und Autohändler zeigten sich angesichts der Möglichkeit, mit Termin einzukaufen, immerhin vorsichtig optimistisch.
Laut den jüngsten Beschlüssen vom Mittwoch soll ab kommendem Montag der Einzelhandel in Regionen mit einem Inzidenzwert von unter 50 wieder öffnen dürfen. Bei Inzidenzwerten zwischen 50 und 100 dürfen Kunden nur nach vorheriger Terminbuchung kommen. Ein Notbremsen-Mechanismus soll die Öffnungen rückgängig machen, wenn die Fallzahlen wieder deutlich steigen.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) bezeichnete die Einigung schlicht als „Katastrophe“. Denn faktisch werde der Lockdown für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmittelhändler bis Ende März verlängert und es drohten weitere zehn Milliarden Euro Umsatzverluste, warnte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Eine stabile Inzidenz von 50 sei „nicht flächendeckend in Sichtweite“ und bei Konzepten wie dem Einkaufen mit Termin überstiegen in der Regel die Kosten die Umsätze.
Statt sich an Branchen wie dem Handel „abzuarbeiten“ und sich „stur ausschließlich an Inzidenzwerten“ zu orientieren, müsse sich die Politik auf die Infektionsgefahr konzentrieren, forderte der HDE. Und diese sei beim Einkaufen unter Beachtung von Hygienemaßnahmen niedrig. Eine „zeitnahe und komplette Öffnung aller Geschäfte“ sei möglich.
Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick, bezeichnete es als „unverständlich und inakzeptabel“, dass die geforderte Öffnungsstrategie für die Branche erneut nicht vorgelegt worden sei. Zwar gebe es eine Perspektive für die Außengastronomie. Allerdings machten sich insgesamt in der Branche Verzweiflung und Existenzängste breit. Es sei nicht verständlich, weshalb die Regierung mehr Kontakte erlaube, „während gleichzeitig unsere Betriebe mit strengen Hygienekonzepten weiterhin geschlossen bleiben“, kritisierte Zöllick.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erklärte, die Wut in der Branche „wächst mit jedem Tag Lockdown“. Die Beschäftigten würden „doppelt im Stich“ gelassen, sagte NGG-Chef Guido Zeitler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ihnen wird weder aufgezeigt, wann sie wieder Geld verdienen dürfen, noch werden sie ausreichend finanziell unterstützt.“ Nötig sei wenigstens ein höheres Kurzarbeitergeld.
Der Deutsche Reiseverband (DRV) warf der Politik vor, die Fakten zur geringen Infektionsgefahr in der Reisebranche zu ignorieren. Es mache die Branche „fassungslos“, dass für viele Bereiche Öffnungsszenarien besprochen worden seien, der Tourismus mit seinen drei Millionen Beschäftigten in Deutschland jedoch „wurde nicht einmal erwähnt“.
Der Verband der Familienunternehmer sprach von einer Öffnung in „Trippelschritten“ und warf der Regierung vor, der Krise „hinterherzulaufen“. Weiterhin werde nur auf die Neuinfektionen „gestarrt“, statt auch die Auslastung der Intensivstationen und die Impfquote bei den Risikogruppen zu berücksichtigen.
Die Möbelindustrie begrüßte hingegen die Beschlüsse als Perspektive. Einzelberatungstermine nach vorheriger Buchung „sind ein erster Schritt, zumindest den dringendsten Einrichtungsbedarf der Bevölkerung zu decken“, erklärte der Branchenverband VDM. Wegen der großen Verkaufsflächen sei auch die Begrenzung der Kunden pro Quadratmeter kein Problem.
Auch die Autoindustrie sah „Grund für vorsichtigen Optimismus“. Die meisten Autohändler seien auf Click & Meet „bestens vorbereitet“, erklärte der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK). Es gebe sehr große Verkaufsflächen in Relation zur täglichen Kundenzahl und Hygienekonzepte, Terminvereinbarung und Kontaktnachverfolgung seien eingeübt.