Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist im Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im größten deutschen Bistum entlastet worden. Es seien keine Pflichtverletzungen bei Woelki feststellbar gewesen, sagte der Strafrechtler Björn Gercke am Donnerstag bei der Vorstellung seines Gutachtens. Gercke sagte, zu derselben Einschätzung sei auch das von Woelki unter Verschluss gehaltene Münchner Gutachten gekommen, ebenso der Vatikan.
Personelle Konsequenzen aus dem Gutachten zog Woelki unmittelbar nach der Vorstellung der Untersuchung: Zwei Kölner Geistliche wurden mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern entbunden. Dabei handelt es sich um den Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp sowie den Leiter des Bischöflichen Gerichts, Offizial Günter Assenmacher. Während Schwaderlapp in acht Fällen konkrete Pflichtverletzungen begangen haben soll, soll Assenmacher in zwei Fällen eine unzutreffende Rechtsauskunft abgegeben haben.
„Handeln muss auch für Kleriker Konsequenzen haben“, begründete Woelki seine Entscheidung. Er kündigte an, das Gutachten noch am selben Tag nach Rom weiterzuleiten. „Eine erste Zusage ist damit eingelöst: Aufdecken, was war und was ist, Vertuschung aufklären und die Namen von Verantwortlichen nennen“, sagte der Erzbischof. Er müsse das über 800 Seiten starke Gutachten in den kommenden Tagen erst einmal selbst lesen, um dann daraus „Konsequenzen ableiten zu können“.
Schwere Vorwürfe erhoben die Gutachter unter anderem gegen den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der früher in Köln tätig und lange Personalverantwortlicher war. Bei ihm hätten sich aus den Akten insgesamt elf Pflichtverletzungen ergeben. Davon seien sieben Pflichtverletzungen nicht ordnungsgemäß bearbeitete Missbrauchsfälle gewesen.
Die mit Abstand schwersten Vorwürfe machten die Gutachter dem 2017 verstorbenen Kölner Kardinal Joachim Meisner. Diesem seien 24 Pflichtverletzungen und damit fast ein Drittel aller Fälle vorzuwerfen. Auch dem 1987 verstorbenen Kardinal Joseph Höffner seien Pflichtverletzungen vorzuwerfen, befanden die Gutachter.
„Auf diesen Schritt der Aufklärung mussten wir lange, beziehungsweise zu lange warten“, sagte Peter Bringmann-Henselder vom Betroffenenbeirat, der selbst zum Opfer von Missbrauch wurde. Die Betroffenen seien froh, dass „zumindest“ das Versprechen eines Gutachtens eingehalten worden sei.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte das gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs im Erzbistum Köln „erschreckend“. „Das Gutachten ist ein wichtiger von vielen weiteren Mosaiksteinen der unabhängigen Aufarbeitung“, erklärte Rörig. Er hoffe, dass sich das „mächtige Erzbistum Köln nun an die Spitze der unabhängigen Aufarbeitung“ setze und die Betroffenen „uneingeschränkt“ unterstütze.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte, „auf die heutigen ersten personellen Konsequenzen“ hätten „viele Opfer viel zu lange gewartet“. „Diese Schritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die so lange überfällige unabhängige Aufarbeitung in Köln und andernorts immer noch am Anfang steht“, ergänzte sie.
Gercke und seine Mitgutachter sollten den Umgang des Erzbistums Köln mit Missbrauchsfällen im Zeitraum 1975 bis 2018 untersuchen, dies erfolgte auf Aktengrundlage. Insgesamt stellten die Gutachter 75 Pflichtverletzungen fest, die von acht lebenden oder verstorbenen Verantwortlichen begangen worden seien. Das Gutachten umfasst über 800 Seiten.
Gercke sagte, auf Grundlage der Aktenprüfung hätten sich 202 Beschuldigte ergeben und 314 Opfer sexuellen Missbrauchs. Von den mutmaßlichen Tätern seien 63 Prozent Kleriker gewesen – das heißt, 127 Priester machten sich im größten deutschen Bistum des Missbrauchs schuldig. Mehr als die Hälfte der Opfer seien Kinder im Alter unter 14 Jahren gewesen, ein mit 57 Prozent größerer Anteil der Opfer seien Jungen gewesen.