Die EU will im schwierigen Verhältnis zur Türkei weiter Sanktionen nicht ausschließen. Es gebe „breites Einverständnis“ unter den Mitgliedstaaten, „alle Optionen auf dem Tisch zu lassen“, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell am Montag nach Beratungen der EU-Außenminister. In einem für den EU-Gipfel diese Woche vorbereiteten Bericht gebe es „positive und negative Ansätze“ für den künftigen Kurs gegenüber Ankara.
Die EU-Außenminister diskutierten am Montag Borrells Bestandsaufnahme vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs ab Donnerstag. Sie enthält einerseits Vorschläge für eine „positive Agenda“ in den Beziehungen zu dem langjährigen EU-Beitrittskandidaten. Diplomaten zufolge könnte die EU Ankara dabei etwa Gespräche über eine Ausweitung der Zollunion anbieten oder weitere finanzielle Unterstützung für die rund 3,7 Millionen Flüchtlinge in der Türkei.
Borrell hob positiv hervor, dass die Türkei sich zuletzt im Streit mit Griechenland und Zypern um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer gesprächsbereit gezeigt habe. Allerdings bleibe der Entspannungsprozess „fragil“.
„Auf der anderen Seite gibt es Entwicklungen, die nicht als positiv betrachtet werden“, sagte der Spanier. Er verwies auf den Verbotsantrag gegen die pro-kurdische Partei HDP und den Austritt aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen.
„Das ist ein weg zurück ins Mittelalter“, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn und verwies auf fast tägliche Morde an Frauen in der Türkei. „Das ist nicht der Weg, den wir brauchen, um wieder normale Verhältnisse mit der Türkei aufbauen zu können.“
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sprach von „Licht und Schatten“. Auch wenn es im östlichen Mittelmeer Entspannung gebe, seien die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei „ganz sicherlich falsche Signale“. Die EU werde „deshalb ja auch die vorbereiteten Sanktionen weiter auf dem Tisch behalten“, falls Ankara von dem konstruktiven Kurs in der Mittelmeerfrage abweiche.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, eine der in Borrells Bericht genannten Optionen bestehe auch darin, „für die türkische Wirtschaft wichtige Sektoren“ ins Visier zu nehmen. Explizit genannt werde der Tourismus. Demnach könnten EU-Mitglieder Reisewarnungen aussprechen. Auch die Ein- oder Ausfuhr von „bestimmten Gütern und Technologien“ im Energiesektor könne beschränkt werden.
Borrell betonte, dass die Außenminister noch keine Schlussfolgerungen gezogen hätten. Dies sei Aufgabe der Staats- und Regierungschefs.
EU-Diplomaten gingen aber davon aus, dass der Gipfel bei der „positiven Agenda“ bestenfalls einen Arbeitsauftrag erteilen dürfte, etwa die Wiederaufnahme der Gespräche über die Ausweitung der Zollunion zu prüfen. Konkrete Entscheidungen würden dann voraussichtlich erst beim Juni-Gipfel fallen, heißt es in Brüssel. Damit würde die EU den Druck auf die Türkei aufrecht erhalten.