Macrons verlorene „Corona-Wette“ – Le Pen triumphiert

Emmanuel Macron - Bild: Michele Limina
Emmanuel Macron - Bild: Michele Limina

Wochenlang hat sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gegen einen neuen Lockdown gesperrt, trotz aller Warnungen von Virologen. Nun aber zwingt die dritte Corona-Welle die Regierung zum Handeln: Ab Samstag gelten für rund 21 Millionen Bürger bereits zum dritten Mal in der Pandemie harte Auflagen. Gut ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl spielt das vor allem der Rechtspopulistin Marine Le Pen in die Hände.

Le Pen nutzte den neuen Lockdown für einen Frontalangriff auf Macron: „Man sperrt die Menschen ein, wenn man komplett versagt hat“, ätzte sie. Nach „Gelbwesten“-Protesten und Streiks gegen die Rentenreform ist die Pandemie Wasser auf die Mühlen der Populistin. Le Pen kann 2022 laut Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Macron hoffen. 

Aber auch gemäßigte Politiker sehen Macron als Verlierer seiner eigenen „Wette“, wie sie sein Umfeld wenig feinfühlig genannt hat: Es dank Impfungen ohne größere Lockdowns in den Sommer zu schaffen.

Die unter der immensen Zahl der Corona-Intensivpatienten ächzenden Krankenhäuser und mehr als 91.000 Todesfälle lassen dem Präsidenten keine Wahl. Ab dem Wochenende müssen im Pariser Großraum und in Teilen Nord- und Südfrankreichs erneut fast alle Geschäfte des nicht täglichen Bedarf schließen. Die Menschen dürfen ihre Häuser nur aus triftigen Gründen verlassen, etwa zum Einkaufen oder für den Arztbesuch.

Die unbequemen Ankündigungen hat Macron seinem Premierminister Jean Castex überlassen. Er lobte Macrons Entscheidungen als „mutig“ und „pragmatisch“ und sprach von einem „dritten Weg“, bei dem Schulen anders als zuletzt in Deutschland überwiegend offen bleiben sollen. Sport und Spaziergänge im Freien sollen in Frankreich zudem erstmals ohne strenge zeitliche Begrenzung möglich sein, und auch Frisör- oder Buchläden bleiben offen.

Vor fast genau einem Jahr hatte Macron noch martialisch einen „Krieg gegen den unsichtbaren Feind“ des Virus ausgerufen und einen der härtesten Lockdowns in Europa mit strikten Ausgangssperren verhängt. Nach seiner eigenen Covid-19-Erkrankung und der seiner 67-jährigen Frau Brigitte im Dezember schwenkte der 43-Jährige dann überraschend auf einen Laissez-faire-Kurs um.

Als der Pariser Großraum Ende Januar alle Alarmwerte überschritt, geschah: nichts. Auch als die Inzidenz in dem Gebiet mit zwölf Millionen Bewohnern im März über die Marke von 400 schnellte, spielte Macron auf Zeit. An der Côte d’Azur und in Teilen Nordfrankreichs verhängte die Regierung dagegen Ausgangssperren an Wochenenden, das Fernsehen zeigte leer gefegte Strände. Wut auf „privilegierte Pariser“ war die Folge.

Was trieb Macron dazu? „In Frankreich hat die Zentralregierung massiven Respekt vor den Parisern, die in der Vergangenheit Könige geköpft haben“, sagt ein europäischer Diplomat. Zudem sei der Großraum Ile de France wirtschaftliche Herzkammer Frankreichs, ein strikter Lockdown könne das ganze Land lahmlegen.

Zudem wehrte sich die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo gegen neue „unmenschliche“ Ausgangssperren. Die 61-Jährige wird ebenfalls als mögliche Präsidentschaftskandidatin gehandelt. Sie könnte für ihre Sozialistische Partei ins Rennen gehen, die Macron bei der letzten Wahl noch gedemütigt hatte.

Zumindest einen Lichtblick gibt es für den französischen Präsidenten: Die Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin können weitergehen. Ohne sie stünde auch Macrons Plan vor dem Aus, bis zum Sommer zwei Drittel aller erwachsenen Franzosen impfen zu lassen. 

Auch eine neue Wette hat der Staatschef bereits abgeschlossen: „Europa wird in einigen Monaten die Weltregion sein, die die meisten Impfstoffe herstellt“, sagte Macron diese Woche.

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