Neustart mit Erdogan – EU umwirbt die Türkei trotz jahrelanger Konflikte mit „positiver Agenda“

Recep Tayyip Erdogan - Bild: OCHA / Berk Özkan
Recep Tayyip Erdogan - Bild: OCHA / Berk Özkan

Seit Jahren sind die Beziehungen der EU zur Türkei von Konflikten geprägt. Beide Seiten versuchen nun einen Neustart. Die EU bietet Präsident Recep Tayyip Erdogan eine „positive Agenda“ an, wenn er sich kooperationsbereiter zeigt. Bei einem Gespräch mit den EU-Spitzen sollten dafür am Freitag die Möglichkeiten ausgelotet werden. Beim EU-Gipfel kommende Woche soll dann der weitere Kurs festgelegt werden.

Wo liegen die Konflikte mit der EU?

Die EU kritisiert regelmäßig die Rolle Ankaras in Konflikten vor ihrer Haustür. Dazu gehörte 2019 der Einmarsch in Nordsyrien, das die Türkei bis heute teilweise besetzt hält. Auch in Libyen ist die Türkei mit eigenen Soldaten aktiv und unterstützte militärisch die Regierung in Tripolis. 

In den vergangenen Jahren kam der Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer mit den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern hinzu. Zeitweise schickten beide Seiten sogar Kriegsschiffe los, um ihre Ansprüche zu untermauern.

Warum kamen die EU-Beitrittsverhandlungen nicht voran?

Ab 2005 verhandelte die EU mit der Türkei über einen Beitritt. Doch in der EU gibt es inzwischen immer mehr Staaten, die eine Aufnahme Ankaras ablehnen. Nach den Massenverhaftungen von Erdogan-Gegnern infolge des gescheiterten Militärputsches von Mitte 2016 legte die EU die Verhandlungen auf Eis. Insgesamt reagiert die EU mit zunehmender Sorge auf die innenpolitische Entwicklung der Türkei. Seit dieser Woche läuft sogar eine Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte, pro-kurdische Oppositionspartei der Türkei.

Hat die Zusammenarbeit beim Flüchtlingspakt gehalten?

In dem Abkommen vom März 2016 verpflichtete sich die Türkei, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und gegen Schlepperbanden vorzugehen. Dies führte tatsächlich zu einem drastischen Rückgang bei der Ankunft von Flüchtlingen in Griechenland. 

Allerdings nutzte Erdogan das Flüchtlingsabkommen immer wieder als politisches Druckmittel gegenüber der EU und drohte mit der Öffnung der Grenzen Richtung Europa. Im Februar 2020 tat er dies tatsächlich. Tausende Flüchtlinge versuchten daraufhin, über die Landgrenze nach Griechenland zu gelangen.

Warum hat die Türkei jetzt ein Interesse an besseren Beziehungen?

Erdogan bot der EU im Dezember an, eine „neue Seite“ in den Beziehungen aufzuschlagen. Seit längerem befindet sich die Türkei in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise. Bessere Beziehungen zur EU als wichtigstem Handelspartner könnten hier helfen.

Hinzu kommt der Machtwechsel im Weißen Haus. Der neue US-Präsident Joe Biden sieht die Entwicklungen beim Nato-Partner Türkei deutlich kritischer als sein Vorgänger Donald Trump – etwa bei Erdogans Syrien-Politik.

Was könnte die EU Erdogan anbieten?

Nachdem sich die Türkei im Gasstreit im Mittelmeer nun gesprächsbereit zeigt, will die EU statt auf weitere Sanktionen auf eine „positive Agenda“ setzen. EU-Diplomaten zufolge wird ein Entgegenkommen in zwei Bereichen geprüft: Einerseits könnten Gespräche über die Ausweitung der Zollunion wieder aufgenommen werden, was für die Türkei von großem wirtschaftlichen Interesse wäre.

Andererseits wäre die EU grundsätzlich bereit, weiter die Versorgung der rund 3,7 Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei mitzufinanzieren. Hier waren Ankara im Flüchtlingspakt von 2016 sechs Milliarden Euro zugesagt worden, die nun weitgehend ausgegeben oder schon fest verplant sind. Konkrete Zahlen über ein neues Milliardenpaket kursieren in Brüssel aber bisher nicht.

Wird das Erdgoan reichen?

Erdogan will eine „Erneuerung“ und Ausweitung des Flüchtlingsabkommens von 2016. Er verlangt dabei nicht nur mehr Geld für die Syrien-Flüchtlinge im eigenen Land, sondern auch für rund eine halbe Million Migranten aus anderen Staaten, die in der Türkei leben.

Zudem will Ankara auch finanzielle und logistische Unterstützung der EU, um die freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat zu organisieren. In der EU werden Pläne aber skeptisch gesehen, diese im von der Türkei besetzten Norden des Bürgerkriegslandes anzusiedeln. 

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