In der Corona-Pandemie klagen viele Jugendliche über psychische Probleme, Vereinsamung und Zukunftsängste. Von der Politik fühlt sich ein Großteil junger Menschen zwischen 15 und 30 Jahren im Stich gelassen, wie die Auswertung von zwei am Dienstag veröffentlichten Befragungen der Universitäten Hildesheim und Frankfurt am Main ergab. Das Deutsche Kinderhilfswerk nannte die Studie „alarmierend“.
Die Erhebungen vom Frühjahr und Herbst vergangenen Jahres wurden in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung analysiert. An der ersten Jugendbefragung von Mitte April bis Anfang Mai 2020 beteiligten sich 5520 Jugendliche, an der zweiten im vergangenen November mehr als 7000 junge Menschen. Das Durchschnittsalter betrug 19 Jahre.
61 Prozent gaben an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen. 64 Prozent berichteten von psychischen Belastungen, 69 Prozent von Zukunftsängsten. Zudem klagte gut ein Drittel der Jugendlichen über finanzielle Sorgen – vor der Corona-Krise hatte dieser Anteil noch bei etwa einem Viertel gelegen.
Auch vermissten die befragten jungen Menschen Aufmerksamkeit und Unterstützung: 65 Prozent äußerten während des zweiten Lockdowns im November die Einschätzung, dass ihre Sorgen eher nicht oder gar nicht gehört werden. Das waren nochmals 20 Prozentpunkte mehr als bei der Befragung während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020.
Dabei möchten die Jugendlichen den Wissenschaftlern zufolge nicht auf ihre Rolle als Schüler, Auszubildende oder Studierende reduziert werden. Ihr coronabedingter Verzicht auf Kontakte zu Freunden und Gleichaltrigen, organisierte Freizeitaktivitäten und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung wird demnach aus ihrer Sicht in der öffentlichen Debatte kaum thematisiert, geschweige denn anerkannt.
In die Politik setzen junge Menschen offenkundig nur wenig Hoffnung auf Besserung: 58 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Situation der Jugendlichen den Politikern nicht wichtig sei. 57,5 Prozent gingen erst gar nicht davon aus, dass junge Menschen ihre Ideen in die Politik einbringen können.
„Corona hat die Probleme vieler junger Menschen verstärkt“, erklärte der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger. „Die Pandemie zeigt wie unter einem Brennglas die schon länger bestehenden Defizite in der Kinder- und Jugendpolitik – es ist jetzt dringend nötig, die Sorgen der Jugendlichen ernst zu nehmen und zu adressieren.“
Auch Tanja Rusack von der Universität Hildesheim mahnte, junge Menschen bräuchten „Möglichkeiten für eine breite und kontinuierliche Beteiligung in allen sie betreffenden Bereichen“. Dies zeigten die negativen Auswirkungen der Pandemie auf ihre Lebensumstände.
Das Deutsche Kinderhilfswerk äußerte sich sehr besorgt. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass psychische Probleme, Vereinsamung und Zukunftsängste das Leben der jungen Menschen zunehmend bestimmen“, erklärte Präsident Thomas Krüger. Jugendliche könnten vielfach schlechter als Erwachsene mit Krisensituationen umgehen, ihre Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu überstehen, sei noch nicht so stark ausgeprägt.
Krüger forderte mehr Freizeit- und Beratungsmöglichkeiten für Kinder in der Corona-Krise. „Gerade wenn Schulen ihre Tore schließen, braucht es außerschulische Angebote, die soziale Interaktion ermöglichen, Bewegungs- und Ernährungsangebote für Kinder und Jugendliche aufrechterhalten sowie eine Ansprechfunktion in schwierigen familiären Situationen bieten“, erklärte der Verbandspräsident. Ansonsten bestehe die „die Gefahr, dass wir insbesondere Jugendliche mit einer unsicheren Zukunftsperspektive ‚verlieren'“.