Der Neandertaler in Nordeuropa ist laut einer Studie früher ausgestorben als bislang angenommen. Bei der Untersuchung von Knochen, die einigen der letzten Neandertaler im Norden des Kontinents zugeschrieben werden, stellten Wissenschaftler aus Großbritannien, Deutschland und Belgien fest, dass diese bis zu 20.000 Jahre älter sind, als frühere Analysen ergeben hatten.
Die Studie wurde am Montag im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Die Autoren datierten Knochen aus der Spy-Grotte in Belgien dafür mit der Radiokarbonmethode. Ko-Autor Thibaut Deviese von der britischen Universität Oxford und der Universität Aix-Marseille in Südfrankreich sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass er und seine Kollegen eine zuverlässigere Methode entwickelt hätten, um die Knochenproben für die Radiokarbon-Analyse vorzubereiten.
Auf diese Weise kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Knochen zwischen 40.600 und 44.200 Jahr alt sind. Bislang hatten sie als rund 24.000 Jahr alt gegolten.
Der Zeitpunkt des Aussterbens der Neandertaler ist ein wesentlicher Anhaltspunkt zur Beantwortung von Fragen nach ihren Fähigkeiten und den Gründen für ihr Verschwinden. Möglicherweise ergibt sich aufgrund der Neudatierungen, dass Werkzeuge, die dem Neandertaler zugeschrieben wurden, doch nicht von ihm, sondern von weiter entwickelten Verwandten benutzt wurden. Die Studienautoren forderten eine entsprechende Überprüfung.
Die nun von dem Forscher-Team verfeinerte Radiokarbonmethode gilt schon lange als Goldstandard zur Datierung archäologischer Funde. Alle Lebewesen nehmen bis zu ihrem Tod Kohlenstoff aus der Atmosphäre und der Nahrung aus, darunter auch radioaktives Kohlenstoff-14 (C-14). Dieses zerfällt mit der Zeit, so dass die in Überresten von Menschen, Tieren und Pflanzen verbliebene Menge C-14 Aufschluss über ihr Alter gibt.
Bei Knochen wird üblicherweise das organische Kollagen aus Knochen bei der Radiokarbonmethode untersucht. Die Forscher um Deviese gingen aber tiefer und extrahierten aus dem Kollagen die Bausteine, sogenannte Aminosäuren, von denen sie eine bestimmte für die Analyse auswählten. So konnten sie ausschließen, dass die Probe durch die Erde am Grabungsort oder Kleber, der für die Präsentation der archäologischen Funde in Museen verwendet wird, das Ergebnis beeinträchtigten.
So ergab eine Gensequenzierung, dass der Schulterknochen eines Neandertalers, der bislang auf ein Alter von 28.000 Jahren geschätzt wurde, stark mit Rinder-DNA verunreinigt war. Das Fundstück war offenbar durch einen aus Rinderknochen hergestellten Leim haltbar gemacht worden.
Zusätzlich analysierten die Wissenschaftler Knochenfunde aus den belgischen Grabungsorten Fonds-de-Foret und Engis nach ihrer Methode und stellten ein ähnliches Alter wie in Spy fest. „Die Datierung ist entscheidend in der Archäologie“, betonte Studien-Ko-Autor Tom Higham von der Universität Oxford. „Ohne einen zuverlässigen Rahmen für die Chronologie, können wir uns nicht wirklich sicher sein bei den Erkenntnissen zur Beziehung zwischen Neandertaler und Homo sapiens.“