Selten hat ein fehlender Sessel für soviel Kritik gesorgt. Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während eines Besuchs beim türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf ein Sofa verbannt wurde, sorgt seit Tagen für Irritationen. Doch die „SofaGate“-Affäre offenbart auch grundlegende Problem der EU: Der protokollarische Rang von Rats- und Kommissionspräsident und die Abgrenzung ihrer Kompetenzen in der Außenpolitik sind alles andere als klar.
Die Bilder von dem Erdogan-Besuch am Dienstag scheinen eine deutliche Sprache zu sprechen: Der türkische Staatschef und EU-Ratspräsident Charles Michel nehmen im Präsidialamt in Ankara auf zwei Sesseln Platz. Für von der Leyen gibt es keinen. Sie steht irritiert da, versucht wohl mit einem „Ähm“ zu protestieren und setzt sich dann doch auf das abseits stehende Sofa.
Die Empörung in der EU ist groß. Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit an die türkische Regierung schwingt überall mit – und wiegt um so schwerer, als Erdogan gerade die Mitgliedschaft der Türkei in der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen aufgekündigt hat.
Doch Ankara sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die Sitzordnung sei „in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der EU“ festgelegt worden, sagt Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Die Kritik an der Türkei sei „unfair“.
Der Kommission zufolge hat die EU-Delegation in Ankara die Visite mit vorbereitet. Gleichzeitig stellt von der Leyens Behörde aber klar, dass ihre Präsidentin „genau denselben protokollarischen Rang“ habe wie Michel. Deshalb hätte die Präsidentin „genau so sitzen müssen wie der Präsident des Europäischen Rates und der türkische Präsident“.
Doch ganz so klar scheint die Sache nicht zu sein. Teils wird auf den EU-Vertrag verwiesen, der dem Ratspräsidenten ausdrücklich Befugnisse der „Außenvertretung der Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ zuweist. Und in einem Handbuch des EU-Rates von 2018 wird der Ratspräsident in der protokollarischen Rangfolge vor dem Kommissionspräsidenten genannt.
Die genauen Zuständigkeiten in der EU bleiben auch vielen westlichen Politikern oft ein Rätsel. „Ich bin nun fünfeinhalb Jahre dabei“, sagte der damalige US-Präsident Barack Obama 2014 bei einer Pressekonferenz mit dem britischen Premier David Cameron. Es gebe die Europäische Union, die Europäische Kommission und den Europäischen Rat. „Manchmal verwechsele ich sie.“ Cameron witzelt zurück: „Willkommen im Club.“
Die Verwirrung, die zwei Präsidentenposten stiften, ist auch der EU bewusst. Bei seinem ersten Besuch in Brüssel wurde US-Präsident Donald Trump 2017 vom damaligen Ratspräsidenten Donald Tusk darauf hingewiesen, „dass wir zwei Präsidenten in der EU haben“. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warf darauf scherzhaft ein: „Einer zuviel.“
Juncker suchte der „SofaGate“-Affäre am Donnerstag etwas die Brisanz zu nehmen. Auch er sei bei Auslandsreisen zuweilen als „Nummer zwei“ behandelt worden, sagte er dem Online-Magazin „Politico“. „Für jeden war klar, dass aus protokollarischer Sicht der Präsident des Rates die Nummer eins ist (…) Normalerweise hatte ich einen Stuhl neben dem Stuhl des Ratspräsidenten, aber manchmal passierte es, dass ich auf einem Sofa saß.“
Für Eric Maurice von der Schuman-Stiftung hat die „SofaGate“-Affäre jedenfalls „fehlende Kommunikation“ zwischen Michel und von der Leyen „über ihre jeweilige Rolle bei dieser Mission“ offenbart. Er verweist auf Mutmaßungen, dass tatsächlich der Rat das Protokoll für den Besuch festgelegt habe. Dann habe dabei womöglich die Sichtweise eine Rolle gespielt, dass die Vertretung der Mitgliedstaaten „die großen Linien“ vorgibt und „die Kommission als in ihren Diensten stehend betrachtet“.