Wenig Impfstoff und hohe Erwartungen: Der Start der Corona-Impfungen in rund 35.000 Hausarztpraxen am Dienstag hat gemischte Reaktionen hervorgerufen. Der Hausärzteverband bemängelte die geringe Menge der bestellten Impfdosen pro Praxis. „Das ist etwas, worüber wir nicht ganz glücklich sind“, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt am Dienstag im RBB-„Inforadio“.
Zunächst bekämen Praxen im Schnitt 20 Dosen pro Woche, obwohl „in der Routine 60,70 – auch um 100“ Patienten wöchentlich geimpft werden könnten. Weigeldt rechnet allerdings damit, dass die Hausarztpraxen zeitnah deutlich mehr Impfdosen bekommen. Wenn die Impfkampagne bei den Hausärzten erst einmal voll angelaufen sei, könnten Impfzentren bald überflüssig sein.
„Ich glaube, dass die Menschen entscheiden müssen, wo sie geimpft werden wollen“, sagte Weigeldt. Dafür sollten „die etablierten und vernünftigen Strukturen“ genutzt werden.
Es sei davon auszugehen, dass noch „länger“ geimpft werde und Auffrischungen anfielen. Angesichts der Virusmutationen könne außerdem ein angepasster Impfstoff notwendig werden. „Ich könnte mir vorstellen, dass es so ähnlich läuft wie mit der Grippeschutzimpfung“, sagte Weigeldt.
Für Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, bietet die geringe Menge bestellter Impfdosen zu Beginn auch einen Vorteil: Wenn die Ärzte mit wenig Impfstoff starten, könnten Prozesse eingeübt werden, sagte er am Dienstag im Deutschlandradio. „Und wenn es dann zunehmend aufwächst, dann sind wir sicher, wie es geht“, erklärte Henke.
Karin Maag, die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, begrüßte den Impfstart in den Praxen. „Unser gemeinsames Ziel ist es, die verfügbaren Impfstoffdosen zügig an die vielen Impfwilligen zu bringen, die noch auf einen Termin warten“, erklärte Maag. „Mit der Expertise der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte wird das Impfen weiter Fahrt aufnehmen“.
Dieser Auffassung ist auch der Chef des Virchowbunds, Dirk Heinrich. „Dank mehr Impfstoff und mehr impfenden Haus- und Fachärzten werden die Impfquoten deutlich steigen“, prognostizierte Heinrich. Er halte 20 Millionen Impfungen innerhalb weniger Wochen für realistisch, wenn neben den Hausärzten auch niedergelassene Fach- und Betriebsärzte einbezogen würden. „Wir können, wir wollen und wir werden große Teile der Bevölkerung bis zum Sommer impfen“, erklärte der Chef des Virchowbunds.
FDP-Chef Christian Lindner empfahl am Dienstag, den „Schwerpunkt der Impfaktivität“ auf die Praxen zu verlegen. „Es darf nicht mehr diesen starken Fokus auf den öffentlichen Impfzentren geben“, sagte Lindner in Berlin. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, für Zweitimpfungen zurückgehaltene Reserven auszulösen und zu verimpfen. Der Impfstoff von Astrazeneca solle „auch außerhalb der Impfreihenfolge pragmatisch abgegeben werden, wenn es Dosen gibt, die ansonsten nicht genutzt werden können“.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dämpfte die Hoffnungen auf ein beschleunigtes Impftempo durch den Impfstart in den Arztpraxen: „Das wird den Weg aus der dritten Welle nicht wirklich beschleunigen, denn dafür haben wir nicht genügend Impfstoff“, sagte Lauterbach in der ntv-Sendung „Frühstart“.