Merkel weist Kenntnis über Probleme bei Wirecard während China-Reise zurück

Angela Merkel - Bild: Bundesregierung/Kugler
Angela Merkel - Bild: Bundesregierung/Kugler

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Einsatz für den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister Wirecard bei einer China-Reise 2019 verteidigt. Allen Presseberichten zum Trotz habe es damals „keinen Anlass gegeben, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard auszugehen“, sagte die Kanzlerin am Freitag im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der das Gebaren rund um den Finanzskandal aufklären soll. Wirecard habe in Peking auch „keine Sonderbehandlung“ genossen.

Dem Konzern bescheinigte Merkel eine „hochkriminelle“ Energie. Was seit Sommer 2020 bekannt gewesen sei, „das war 2019 nicht der damalige Erkenntnisstand“, sagte Merkel. Der einstige Dax-Konzern Wirecard soll jahrelang die Bilanzen gefälscht haben – Ende Juni 2020 meldete das Unternehmen Insolvenz an.

Merkel musste sich im Ausschuss vor allem der Frage stellen, weshalb sie sich in Gesprächen mit Chinas Präsident Xi Jinping für den Konzern eingesetzt hatte, obwohl schon damals in mehreren Medienberichten von Unregelmäßigkeiten die Rede war. Diese Presseberichte habe sie „nicht verfolgt, weder die positiven noch die negativen“, sagte die Kanzlerin. In China sei sie mit über 30 Unternehmensvertretern gewesen. Wirecard sei nicht Teil der Handelsdelegation gewesen. Es sei normal, dass sich die Regierung im Ausland für einen „reziproken“ Marktzugang einsetze.

Ihre Berater hätten den Schluss gezogen, dass sie das Thema  Wirecard auf der China-Reise ansprechen könne, sagte Merkel. „Damals war das gerechtfertigt, heute würde man das mit dem Wissen anders machen.“ Es habe aber „nicht den geringsten Anlass“ gegeben, das Vertrauen in ihren Wirtschaftsberater Lars-Henrik Röller und andere Mitarbeiter in Frage zu stellen.

Die heute bekannten Probleme bei Wirecard seien „mit schwerwiegend noch schwach beschrieben“; es handle sich um kriminelle Energie, die die eigene Phantasie übersteige, sagte Merkel. Dass die deutsche Finanzaufsicht damals „nicht objektiv genug aufgestellt“ gewesen sei, sei „ganz klar“.

Äußern musste sich die Kanzlerin auch umfassend dazu, dass der frühere Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kurz vor der China-Reise bei Merkel für Wirecard lobbyierte. Dies sei zunächst ein „persönliches Gespräch“ gewesen und sie erinnere sich nicht, dass der Name Wirecard gefallen sei, sagte  Merkel. „Ich kann es aber auch nicht ausschließen.“ Sie „schätze es nicht sehr“, dass persönliche Gespräche letztlich für eigene Anliegen genutzt würden.

Heftige Kritik an Guttenbergs Verhalten kam auch von dem CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach. „Das beschämt mich“, sagte das Ausschussmitglied. Er könne sich nur für seine Partei entschuldigen, dass Merkel offenbar für dessen Interessen benutzt werden sollte.

Unzufrieden zeigten sich vor allem die Oppositionsvertreter damit, dass bislang niemand die politische Verantwortung für den Skandal übernommen habe. Wenn sich „über Nacht über 20 Milliarden Euro in Konfetti auflösen, muss jemand dafür die politische Verantwortung tragen“, sagte Linken-Obmann Fabio De Masi in Anspielung auf den Börsenwert des Unternehmens. Er kaufe der Kanzlerin ihre „Ahnungslosigkeit nicht vollständig ab“.

Der FDP-Politiker Florian Toncar bezeichnete Merkels Einsatz für Wirecard in China als „Fehler“. Dem Konzern sei es gelungen, sein Anliegen zu platzieren und für diesen Prozess trage Merkel schlussendlich die politische Verantwortung.

Grünen-Ausschussmitglied Danyal Bayaz sagte dazu, das Kanzleramt und ihre Minister hätten Merkel „schlecht auf ihren China-Besuch vorbereitet“. Es habe die notwendige Distanz und Sensibilität für Compliance gefehlt. Am Donnerstag hatte bereits Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gesagt, die Verantwortung für den Betrug bei Wirecard „trägt nicht die Bundesregierung“.

Ausschussmitglied Bayaz rechnet damit, dass Grüne, Linke und FDP im Abschlussbericht zum Wirecard-Skandal eine abweichende Bewertung der Ermittlungsergebnisse verfassen werden. „Von uns als Opposition wird es darin sicher ein Sondervotum geben, das von der Koalitionslinie abweicht“, sagte er dem „Spiegel“. „Wir wollen, dass eine neue Bundesregierung diesen Bericht als Grundlage nehmen kann, um eine Finanzaufsicht zu entwickeln, die ihren Job macht, ernst genommen und gefürchtet wird.“

Nach der Vernehmung ranghoher Politiker und Politikerinnen ist die Arbeit des Ausschusses indes noch nicht beendet. Im Mai sollen erneut Vertreter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY sowie von Wirecard selbst geladen werden.

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