Wir sind zwei Jahrhunderte zurückgeworfen worden!“ Ausgerechnet das ölreiche Venezuela leidet unter massivem Dieselmangel – Bauer Alfonso Morales ächzt deshalb unter einer unfreiwilligen Zeitreise, die ihm Misswirtschaft, Sanktionen der USA und der tiefe wirtschaftliche Fall des südamerikanischen Landes beschert haben. Kraftstoff ist für viele Landwirte trotz des immensen Rohstoffreichtums unerschwinglich. Morales muss deswegen nun Ochsen anspannen.
„Einen Hektar mit Ochsen zu pflügen, dauert drei bis vier Tage“, erzählt er. „Mit einem Trecker braucht man nur fünf Stunden“, berichtet Morales der Nachrichtenagentur AFP per Telefon aus dem Bundesstaat Mérida in den venezolanischen Anden. Dort wird es für die Bäuerinnen und Bauern immer schwieriger, sich durchzuschlagen – denn der Mangel an Kraftstoff macht sich hier auf dem Land noch weitaus stärker bemerkbar als in der Hauptstadt Caracas.
Es gab Zeiten, da förderte Venezuela – das Land mit den weltweit größten Ölreserven – mehr als drei Millionen Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) pro Tag. Das schwarze Gold war wichtigster Exportschlager und wichtigste Einnahmequelle, mit den USA als wichtigstem Abnehmer.
Nach Angaben der Organisation erdölexportierender Länder (Opec), der auch Venezuela angehört, sitzt das Land auf Rohölreserven von gigantischen 304 Milliarden Barrel. Doch heute liegt die Produktion bei weniger als 500.000 Barrel pro Tag. Grund dafür sind nach Experteneinschätzung auch chronische Misswirtschaft, Korruption und fehlende Investitionen.
Die Raffinerien des Landes, die Kapazitäten für 1,3 Millionen Barrel pro Tag haben, sind zu großen Teilen gelähmt. Ivan Freitas, früherer Gewerkschafter im Ölsektor und inzwischen im Exil im kolumbianischen Bogotá, sagt, dass die Betriebe nicht mehr als 45.000 Barrel pro Tag raffinieren – nicht einmal ein Viertel des inländischen Bedarfs.
Zugleich ist die Einfuhr von Kraftstoffen im Zuge von US-Sanktionen verboten, mit denen Washington Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro treffen will, dessen Wiederwahl 2018 die USA ebenso wie zahlreiche weitere Staaten nicht anerkennen. Seit Jahren bereits wird Venezuela von einem Machtkampf zwischen der linksnationalistischen Regierung unter Maduro und der Mitte-rechts-Opposition erschüttert.
Dieselimporte waren aus humanitären Gründen von den Sanktionen zunächst ausgenommen. Seit November 2020 gilt diese Ausnahme aber nicht mehr – und damit wird es immer schwieriger, Lkw für den Transport von Gütern zu betanken, Pumpen für Bewässerungssysteme oder Dieselgeneratoren in Gegenden mit unzureichender Stromversorgung zu betreiben – oder eben Pflugscharen von Traktoren ziehen zu lassen.
Der Bauernverband Fedeagro warnt, dass bei den Bohnen – einem landwirtschaftlichen Haupterzeugnis in Venezuela – die Ernte wegen des Treibstoffmangels um bis zu einem Drittel geringer ausfallen könnte. Außerdem drohen rund 400.000 Tonnen Zuckerrohr ungeerntet auf den Feldern zu verkommen.
Bauer Alfonso Morales erinnert sich an die Zeit, als Sprit in Venezuela fast so billig war, als wäre er umsonst. Heute kostet eine 700-Kilometer-Lkw-Tour von Mérida nach Caracas rund 300 Dollar (etwa 250 Euro) für Treibstoff auf dem Schwarzmarkt.
Für Morales bedeutet das eine wahre Ochsentour: Zum Pflügen seien die Zugtiere traditionell vor allem in bergigen Gegenden eingesetzt worden, wo der Einsatz von Treckern nicht möglich war, erzählt er. Heute gebe es „mehr und mehr Ochsen“, die die Pflüge ziehen – auch auf dem flachen Land.