Deutsches Klimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig

Klima - Bild: aleeenot via Twenty20
Klima - Bild: aleeenot via Twenty20

Das deutsche Klimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse bis Ende kommenden Jahres die Minderung der Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer regeln, erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag und gab damit den Verfassungsbeschwerden mehrerer junger Menschen teilweise statt. Sie würden durch einige Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes in ihren Freiheitsrechten verletzt. (Az. 1 BvR 2565/18 u.a.)

Auch aus dem Grundgesetz folge, dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssten, erklärte das Gericht. Die Vorschriften im Klimaschutzgesetz verschöben aber hohe Lasten für die Minderung der Emissionen unumkehrbar auf die Zeit nach 2030. Um die im Pariser Klimaabkommen festgelegte Begrenzung des Temperaturanstiegs zu erreichen, müssten die dann noch notwendigen Minderungen immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen Pflichten sei praktisch jede Freiheit potenziell betroffen, weil fast alle Lebensbereiche mit der Emission von Treibhausgasen verbunden seien.

Der Gesetzgeber hätte darum Vorkehrungen treffen müssen, um diese Lasten abzumildern, teilte das Gericht mit. Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärfe das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen. Es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des Budgests zu verbrauchen, wenn dadurch die Freiheit nachfolgender Generationen umfassend eingeschränkt würde. Einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sah das Gericht dagegen nicht.

Das deutsche Klimaschutzgesetz wurde Ende 2019 verabschiedet. In ihm ist festgeschrieben, wie viel Kohlendioxid einzelne Sektoren wie Energiewirtschaft oder Verkehr in den kommenden Jahren noch ausstoßen dürfen. So soll der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent zurückgehen, verglichen mit dem Stand von 1990.

Geklagt hatten schon 2018 der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der Solarenergieförderverein Deutschland und mehrere Einzelkläger. Weitere Verfassungsbeschwerden von jungen Menschen aus Deutschland, Bangladesch und Nepal folgten Anfang 2020. Die Deutsche Umwelthilfe, Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet unterstützten sie. Die Umweltverbände selbst seien nicht beschwerdebefugt, erklärte das Gericht nun. Die Klagen der natürlichen Personen seien aber zulässig.

Die Klägerseite reagierte begeistert auf die Entscheidung. Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mehrerer Umweltverbände und Kläger, es sei ein „unfassbar großer Tag für hunderttausende junge Menschen“. Rechtsanwalt Remo Klinger sprach von einem „Meilenstein“. Die Erwartungen seien übertroffen worden, sagte Rechtsanwältin Roda Verheyen. Das Bundesverfassungsgericht sei weltweit unglaublich anerkannt. „Dieses Urteil wird den neuen Maßstab bilden.“

Auch aus der Politik gab es zustimmende Reaktionen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) lieferten sich dabei einen kurzen Schlagabtausch auf Twitter. Altmaier twitterte, das Gericht habe ein „großes und bedeutendes“ Urteil erlassen. Er freue sich, dass damit die wichtigste Forderung seiner Klimainitiative aus dem September umgesetzt werde, die Minderungsziele jetzt schon in konkrete Ziele für jedes einzelne Jahr zwischen 2022 und 2050 aufzuteilen und festzulegen.

Scholz twitterte an Altmaier gewandt: „Nach meiner Erinnerung haben Sie und CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock nannte die Entscheidung „historisch“. Klimaschutz schütze „unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Deshalb konkreter Auftrag für das Hier und Heute: Klimaschutzgesetz jetzt überarbeiten“, twitterte sie.

Der Linken-Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin nannte die Entscheidung einen „richtungsweisenden Kracher für mehr Klimagerechtigkeit“. Das Gericht mache „der sträflichen Tippelschritt-Klimapolitik der Bundesregierung endlich Beine“, teilte er mit.

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