Kurz vor Ablauf der Frist für eine Regierungsbildung in Israel richten sich am Dienstag alle Blicke auf den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Der langjährige Regierungschef hat bis Mitternacht (23.00 Uhr MESZ) Zeit, um eine Lösung zu präsentieren.
„Es ist Zeit für eine neue Regierung“, sagte Oppositionsführer Jair Lapid, der zum Zuge kommen könnte, falls Netanjahu mit seiner Regierungsbildung scheitert. Er sprach sich am Dienstag erneut für eine „stabile“ Einheitsregierung aus. Andernfalls drohe nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren ein weiterer Urnengang.
Am Montag hatte Netanjahu dem Chef der religiös-nationalistischen Partei Jamina, Naftali Bennett, das Amt des Regierungschefs in einem Wechselmodell angeboten, um eine „linke Regierung“ zu verhindern. Bennet könne im ersten Jahr Ministerpräsident werden, erklärte Netanjahu.
Ex-Verteidigungsminister Bennett, ein einstiger Verbündeter Netanjahus, wies das Angebot aber zurück. Er sei jederzeit bereit, eine rechtsgerichtete Regierung zu bilden, sagte Bennett. Wenn Netanjahu dies nicht gelinge, „werden wir eine Einheitsregierung bilden“. Eine erneute Neuwahl müsse unbedingt verhindert werden.
Sollte es Netanjahu bis zum Ablauf der Frist nicht gelingen eine Regierung zu bilden, kann der israelische Präsident Reuven Rivlin einem anderen Politiker den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Im Gespräch ist Oppositionsführer Lapid, dessen liberale Partei Jesch Atid bei der Wahl im März den zweiten Platz belegt hatte. Alternativ könnte Rivlin das Parlament auffordern, einen eigenen Kandidaten für den Posten des Regierungschefs zu nominieren.
Netanjahu, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, war nach dem Urnengang vom 23. März erneut mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Seine Likud-Partei war mit 30 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft geworden.
Um die fehlenden Sitze für eine Mehrheit von 61 Stimmen in der Knesset zu erhalten, ist Netanjahu neben Bennetts Jamina-Partei auf die extremistische Partei Religiöser Zionismus angewiesen. Außerdem bräuchte er die Unterstützung der konservativen islamischen Raam-Partei. Die Partei Religiöser Zionismus hat eine Zusammenarbeit mit Raam jedoch bereits ausgeschlossen.
Netanjahu hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf eines politischen Überlebenskünstlers erarbeitet. „Das ist ein Tag für Menschen mit starken Nerven“, schrieb der Kolumnist Sima Kadmon in der Zeitung „Jediot Aharonot“. „Wie immer weiß niemand, welchen Trick Netanjahu in letzter Minute aus dem Hut zaubert.“