Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie und dem vollständigen Brexit-Vollzug sind die Briten am Donnerstag zu den Wahlurnen gerufen. Bei den Regionalwahlen stehen einige äußerst wichtige Entscheidungen an – ein kurzer Überblick:
SCHOTTLAND
Für die Befürworter der Unabhängigkeit gilt der Urnengang in Schottland als „Schicksalswahl“. Nach dem von den meisten Schotten abgelehnten Austritt Großbritanniens aus der EU haben die Befürworter einer Loslösung vom Königreich neuen Auftrieb erhalten. Darauf setzt Regierungschefin Nicola Sturgeon, die weiter an der Macht bleiben will.
Die vehemente Unabhängigkeitsbefürworterin hofft auf eine absolute Mehrheit für ihre Schottische Nationalpartei (SNP) – oder zumindest auf die Mehrheit im Parlament mit anderen für die Unabhängigkeit eintretenden Parteien. Sollte dies bei der Wahl gelingen, hätte der britische Regierungschef Boris Johnson nach Ansicht von Sturgeon „keinerlei moralische Rechtfertigung mehr“, sich einem neuen Unabhängigkeitsreferendum in Schottland in den Weg zu stellen.
BORIS JOHNSON
Der britische Regierungschef steht nicht nur wegen der Unabhängigkeitsfrage in Schottland unter Druck. Die Regionalwahlen gelten allgemein als Stimmungstest für den Premierminister. Dieser kämpft derzeit mit mehreren Skandalen, darunter immer neue Details zur nebulösen Renovierung seiner Dienstwohnung. Zudem machen ihn viele Briten für die negativen Auswirkungen des Brexit sowie die hohe Zahl von mehr als 127.000 Corona-Toten verantwortlich.
Allerdings organisierte Downing Street auch eine der weltweit schnellsten Impfkampagnen gegen das Virus. Welcher Eindruck von Johnson bei den Wählern überwiegt, das dürfte das Abschneiden seiner Konservativen Partei bei den Regionalwahlen zeigen.
LONDON
Fünf Jahre, nachdem er der erste muslimische Bürgermeister einer westlichen Hauptstadt wurde, tritt Sadiq Khan von der Labour-Partei erneut an. Er hatte das Amt von Johnson übernommen – und kann Umfragen zufolge mit seiner Wiederwahl rechnen. Dies wäre für die oppositionelle Labour-Partei äußerst wichtig, die auch mit ihrem neuen Vorsitzenden Keir Starmer Probleme hat, die Menschen zu überzeugen. Khans Gegenkandidat ist der Konservative Shaun Baily, dessen Familie aus Jamaika stammt.
HARTLEPOOL
Zusätzlich zu den verschiedenen Regionalwahlen steht auch die Neuwahl eines Abgeordneten für das britische Parlament an – und dies in Hartlepool im Nordosten Englands. Der bisherige Abgeordnete war nach Vorwürfen sexueller Übergriffe zurückgetreten, nun wird sein Nachfolger gesucht.
Die gesamte Region gilt eigentlich seit Jahrzehnten als Hochburg der Labour-Partei. Doch bei den Parlamentswahlen Ende 2019 waren die Konservativen massiv in das „Rote Herzland“ vorgedrungen, Hartlepool konnte Labour damals noch verteidigen.
Sollte Labour nun auch Hartlepool an die Konservativen verlieren, dürften Oppositionschef Starmer unruhige Zeiten bevorstehen. Schon jetzt gibt es auch parteiintern Zweifel an seiner Führungsstärke. Beide Seiten wissen um die besondere Bedeutung dieser Nachwahl, Premierminister Johnson machte noch am Montag persönlich Wahlkampf in Hartlepool.
NORDKOREA
Mit Jihyun Park tritt bei der Wahl in Bury nahe von Manchester eine ganz besondere Kandidatin für die Konservativen an: Sie war aus einem Arbeitslager aus Nordkorea geflohen und hatte vor 13 Jahren Asyl in Großbritannien bekommen. „Die Briten haben mich in ihrem Land Willkommen geheißen und ich habe hier meine Freiheit gefunden“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. „Jetzt will ich etwas zurückgeben.“