Der Essenslieferant Lieferando sieht sich Vorwürfen der großflächigen Überwachung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt. Pro Fahrer würden jährlich bis zu 100.000 Datenpunkte gesammelt, berichtete der Bayerische Rundfunk (BR) am Freitag. Das Unternehmen widersprach den Vorwürfen auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP deutlich.
Mittels einer Erfassungsapp namens Scoober, in der die Fahrer ihre Aufträge abholen, soll deren Standort dem Bericht zufolge sekundengenau erfassbar sein. Pro Lieferung entstünden so 39 Datenpunkte: Lieferando erfasst, wann ein Fahrer eine Bestellung zugeteilt bekommt, diese abholt und ausliefert. Die Daten sind demnach personalisiert. „Aus unserer Sicht liegt hier totale Überwachung vor. Wir halten es für völlig unverhältnismäßig“, kritisierte Lieferandos Betriebsratchef Semih Yalcin im Gespräch mit dem BR.
Lieferando entgegnete, die ermittelten Daten wie Zeiten und Orte seien unerlässlich für einen funktionierenden Lieferservice. Fahrer müssten Bestellungen zugewiesen bekommen, Restaurants und Konsumenten wollten über den Status ihrer Bestellung Bescheid wissen. „Es wird mit den Daten keine unerlaubte Leistungskontrolle oder auch kein Profil der Fahrer erstellt“, sagte Lieferando-Sprecher Oliver Klug.
Dass in einem Logistikkonzern riesige Datenmengen anfielen, liege in der Natur der Sache. „Wir können nun mal nicht per Fax mit unseren Fahrern kommunizieren.“ Die Speicherung der Daten sei aus arbeitsrechtlichen Gründen für sechs Jahre verpflichtend – der BR hatte berichtet, dass Datensätze bis ins Jahr 2018 zurückreichten. Lieferando zufolge dienen die App-Daten zudem der Berechnung von Prämien wie etwa Bestellboni oder Kilometerpauschalen.
Der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Stefan Brink, untersuchte die Scoober-App nach der Beschwerde eines Fahrers. Die genaue Überwachung des Standorts führe zu einer „dauerhaften Überwachung der Arbeitsleistung“, die überdies „klar rechtswidrig“ sei, wie er in dem BR-Bericht erklärte.
„Sofern die Vorwürfe stimmen, ist das ein handfester Skandal“, sagte SPD-Fraktionsvize Katja Mast AFP. Die Fahrer arbeiteten hart. „Dass sie dabei dem Bericht zufolge ausgespäht werden, ist das Letzte.“ Wer von solchen Vorwürfen lese, dem vergehe jegliche Lust auf das gelieferte Essen.
Lieferando ist eine Tochter des niederländischen Konzerns „Just Eat Takeaway“. Brinks Untersuchungen wurden daher an die dortige Datenschutzbehörde weitergeleitet, heißt es im BR-Bericht. Wenn seine Kollegen zu einer ähnlichen Entscheidung kommen, droht Lieferando dem Datenschutzbeauftragten zufolge eine Strafe in „zweistelliger Millionenhöhe“.