Annalena Baerbock mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. „Ich trete an für Erneuerung, für den Status Quo stehen andere“, sagte die Grünen-Chefin bei der Verkündung ihrer Kanzlerkandidatur im April. Die 40-jährige Völkerrechtlerin, die seit Anfang 2018 gemeinsam mit Robert Habeck die Partei führt, nimmt Kurs auf das Kanzleramt. Zwar verfügt die Bundestagsabgeordnete über keinerlei Regierungserfahrung, doch sie gilt als durchsetzungsstark und gut vernetzt.
Lange hatte es so ausgesehen, als falle die Kandidatenentscheidung zugunsten des Ko-Vorsitzenden Robert Habeck aus. Schließlich besaß Habeck schon vor der Wahl der beiden Grünen-Chefs Anfang 2018 eine hohe Popularität.
Als Pluspunkt für Baerbock erwies sich dann aber unter anderem, dass die Bundestagsabgeordnete in der Partei gut vernetzt ist und als ausgewiesene Expertin für Klimafragen gilt. Seit 2013 sitzt die in Niedersachsen geborene Baerbock für ihre Wahlheimat Potsdam im Bundestag.
Dass sie über keine Regierungserfahrung verfügt, wird Baerbock im Wahlkampf wohl oft zu hören bekommen. Also sagte sie es bei der Vorstellung ihrer Kandidatur gleich selbst: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, und auch nicht Ministerin.“ Doch sie betrachtet sich und ihre Partei als „lernfähig“.
Spekulationen über eine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit hat sie schon vor einiger Zeit selbstbewusst gekontert: „Drei Jahre als Parteichefin, Abgeordnete und Mutter kleiner Kinder stählen ziemlich.“
Nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur schnellten die Grünen-Werte in die Höhe, die CDU/CSU wurde auf Platz zwei verwiesen. Doch die Euphorie ließ zuletzt spürbar nach.
Dass Baerbock Nebeneinkünfte zu spät an die Bundestagsverwaltung meldete und ein „blödes Versäumnis“ einräumen musste, war ein gefundenes Fressen für die politischen Gegner. Zudem musste sie Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf klarstellen. Zum Umfrage-Dämpfer trug sicher auch bei, dass die Grünen in der Debatte um höhere Spritpreise schlecht wegkamen, obwohl die Anhebung auch Beschlusslage von Union und SPD ist.
In jedem Fall wird Baerbock einen Wahlkampf mit heftigem Gegenwind bestreiten müssen. In ihren gut drei Jahren an der Spitze der Grünen hat sie aber bewiesen, dass sie das politische Handwerk beherrscht: Baerbock ist verbindlich und vertritt jenen Pragmatismus, der die Grünen zu ihrer jetzigen Stärke geführt hat. Die ausgewiesene Realpolitikerin schaffte es dabei, den linken Parteiflügel einzubinden.
So streitet die studierte Völkerrechtlerin für einen konsequenten Klimaschutz und warnt zugleich davor, „Öko gegen Sozial“ auszuspielen: Sie präsentierte sich einst als basisnahe Kämpferin, die für den Kohleausstieg „raus auf die Straße“ will, aber auch das Gespräch mit Kohlekumpels sucht. In ihrem Wohnort Potsdam engagierte sie sich in einem Flüchtlingshilfeverein – und in der Corona-Krise besetzte die Mutter zweier Töchter im Alter von fünf und neun Jahren frühzeitig das Familien-Thema.
Es ist das erste Mal, dass die Grünen sich für eine Kanzlerkandidatur entschieden haben. Formal muss das noch der anstehende Parteitag besiegeln. Dann sollen Baerbock und Habeck auch zum gemeinsamen Spitzenduo für den Wahlkampf gekürt werden. Chancen für eine Bundesregierung unter Grünen-Führung gäbe es derzeit nur in einem Dreierbündnis mit den Sozialdemokraten und der erstarkten FDP. Die Grünen unterlassen es aber konsequent, irgendwelche Koalitionspräferenzen erkennen zu lassen.
Die am 15. Dezember 1980 in Hannover geborene Baerbock war von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, bevor sie in den Bundestag einzog. Bei den schließlich gescheiterten Sondierungen über eine Jamaika-Koalition Ende 2017 machte sich die ehemalige Trampolinturnerin nicht nur in der Klima-, sondern auch der Europapolitik einen Namen. Im Januar 2018 wurde sie dann gemeinsam mit Habeck zur Grünen-Bundesvorsitzenden gewählt.
Ihre Familie hat sich bereits für den Fall der Kanzlerschaft gerüstet. Ehemann Daniel Holefleisch werde dann seinen Job aufgeben und die Kinderbetreuung übernehmen, sagte Baerbock kürzlich der „Bild am Sonntag“. Die Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren, sieht Baerbock nicht: Die Töchter wüssten, „wo mein Herz und mein Zuhause sind“.
Annalena Baerbock ist für das Amt einer Bundeskanzlerin absolut nicht geeignet!