Die spanische Regierung wird am Dienstag neun inhaftierte Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter begnadigen. Dies kündigte Ministerpräsident Pedro Sánchez am Montag bei einem Besuch in Kataloniens Hauptstadt Barcelona an. Die neun prominenten Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung waren im Jahr 2019 wegen des Versuchs der Abspaltung Kataloniens von Spanien zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren verurteilt worden. Die bevorstehenden Begnadigungen sind in Spanien umstritten.
„Morgen werde ich, den verfassungsmäßigen Geist der Eintracht im Sinn, dem Kabinett vorschlagen, die neun Verurteilten zu begnadigen“, sagte Sánchez in einer Ansprache. Mit dem Schritt wolle die Regierung den Weg zur „Wiederversöhnung“ im Land ebnen.
Der katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès begrüßte die Ankündigung. „Mit dieser Entscheidung der spanischen Regierung wird ein ungerechtes Urteil des Obersten Gerichts korrigiert“, sagte er. Denn die Organisation eines Referendums könne „keine Straftat sein“.
Vor dem Gran Teatre del Liceu, in dem der Ministerpräsident seine Rede hielt, demonstrierten mehrere hundert Unabhängigkeitsbefürworter unter starker Präsenz der Sicherheitskräfte. „Wir wollen die Unabhängigkeit, keine Brotkrumen oder Begnadigungen“, sagte der Demonstrant Ángel Segura. Die pensionierte Anwältin Anna nannte die Begnadigungen einen „Schwindel“. Nötig sei vielmehr, die Strafen der Verurteilten vollständig zu tilgen.
Die katalanische Regionalregierung unter Führung von Carles Puigdemont hatte im Oktober 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten lassen und damit die schwerste politische Krise in Spanien seit Jahrzehnten heraufbeschworen. Die Zentralregierung griff damals hart durch und setzte die Regionalregierung ab.
Puigdemont und andere Anführer der Unabhängigkeitsbewegung flohen ins Ausland. Weitere Mitstreiter wie der frühere katalanische Vizepräsident Oriol Junqueras wurden festgenommen. Zwei Jahre später wurde er zusammen mit elf anderen Führungspersönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung vom Obersten Gericht verurteilt.
Gegen sieben Politiker und zwei Vertreter der Zivilgesellschaft wurden Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren ausgesprochen, gegen die drei übrigen Angeklagten wurden Geldstrafen verhängt. Die Urteile sorgten für massive Proteste, die von der spanischen Polizei teils mit Gewalt niedergeschlagen wurden.
Über eine Begnadigung der Verurteilten wird in Spanien seit Wochen kontrovers diskutiert. Das Oberste Gericht sprach sich ebenso wie die meisten Oppositionsparteien dagegen aus. Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen landesweit 53 Prozent der Spanier die Freilassung der neun Katalanen ab. In Katalonien hingegen sprachen sich zwei Drittel der Befragten dafür aus.
Konservative Kritiker werfen Sánchez vor, er wolle durch die Begnadigungen seinen Machterhalt sichern, da seine Minderheitsregierung im Parlament in Madrid auch auf die Unterstützung der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter angewiesen ist.
In der vergangenen Woche erhielt der Regierungschef im Streit über die Begnadigungen überraschend Rückendeckung vom Unternehmerverband CEOE, der einer Unabhängigkeit Kataloniens ablehnend gegenübersteht. Auch die katholische Kirche befürwortete die Freilassung der neun Inhaftierten.