Bis kurz vor dem Anpfiff hat die Auseinandersetzung über ein umstrittenes ungarisches Gesetz zu Homosexualität das letzte EM-Vorrundenspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Ungarn dominiert. Während die Mannschaften am Mittwoch vor Spielbeginn die Nationalhymnen sangen, rannte ein junger Mann mit Regenbogenfahne auf das Spielfeld der Münchner Allianz-Arena. Er wurde kurz darauf von Sicherheitskräften abgeführt. Zuvor hatte es heftige Kritik an Ungarn gegeben, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach mit Blick auf das Gesetz von einer „Schande“.
Das Parlament des EU-Mitgliedstaats Ungarn hatte erst vergangene Woche das Gesetz verabschiedet, das „Werbung“ für Homosexualität oder Geschlechtsangleichungen bei Minderjährigen verbietet. Dieses sorgt europaweit für Empörung.
Die Stadt München hatte vorgeschlagen, das Stadion anlässlich der Begegnung in Regenbogenfarben als Zeichen der Solidarität mit Homosexuellen zu beleuchten. Die Europäische Fußball-Union (Uefa) als EM-Ausrichter hatte den Antrag der Stadt wegen dessen „politischen Kontexts“ am Dienstag abgelehnt, was scharfe Kritik auslöste. Später färbte die Organisation ihr Logo in den Regenbogenfarben ein, bekräftigte aber ihre Ablehnung des Vorschlags aus München.
Präsent war die Regenbogenfahne im Stadion dann doch: Auch der deutsche Mannschaftskapitän Manuel Neuer trug während des Spiels, bei dem sich Deutschland mit einem 2:2 den Einzug ins Achtelfinale sicherte, eine Kapitänsbinde in den Regenbogenfarben; im Publikum waren vereinzelt ebenfalls Regenbogen-Fahnen zu sehen.
Vor der Allianz-Arena verteilte zudem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Regenbogenfahnen. „Wir setzen ein Zeichen von Diversität, von Toleranz, von Akzeptanz“, sagte das 23-jährige Amnesty-Mitglied Laura Lansink bei der Aktion in München. „Wenn die Arena nicht von außen leuchten kann, bringen wir sie zum Leuchten, indem wir Fähnchen an die Fans verteilen.“
Auch bundesweit wurden Stadien und andere Wahrzeichen vor und während des Spiels aus Solidarität mit Homosexuellen in den Farben des Regenbogens beleuchtet oder beflaggt, etwa das Opernhaus in Stuttgart und das Stadion des Hamburger SV.
Vor weiteren Stadien sowie Rathäusern im gesamten Bundesgebiet wurden am Mittwoch darüber hinaus Regenbogenfahnen gehisst, darunter auch vor dem Münchner Rathaus. Mehrere ungarische Vereine kündigten an, als Gegenaktion ihre Stadien in den ungarischen Nationalfarben zu beleuchten.
Etwa 2000 ungarische Fans waren für das Spiel nach München gereist, davon rund 200 Anhänger „problemorientierter Gruppen“, wie ein Sprecher der Polizei München mitteilte. Vor der Partie sei es jedoch weitgehend ruhig geblieben.
Von der Leyen sagte, das Gesetz diskriminiere Menschen „aufgrund ihrer sexuellen Orientierung“ und verstoße gegen die „fundamentalen Werte der Europäischen Union“. Sie glaube an ein „Europa der Vielfalt“, in dem „wir lieben können, wen wir wollen“, betonte die Kommissionschefin.
Nach von der Leyen äußerte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch und bezeichnete das Gesetz als „falsch und mit meiner Vorstellung von Politik nicht vereinbar“. Wenn die Aufklärung über homosexuelle Partnerschaften eingeschränkt werde, betreffe dies auch die „Freiheit von Bildung“, kritisierte sie.
Die rechtskonservative Regierung in Budapest wies von der Leyens Kritik zurück und nannte diese ihrerseits eine „Schande, weil sie auf falschen Annahmen beruht“. Von der Leyen habe eine „voreingenommene politische Meinung geäußert, ohne vorher eine unabhängige Untersuchung zu führen“, hieß es in der Erklärung der Regierung in Budapest.
Einem Protestbrief gegen das Gesetz schloss sich inzwischen mehr als die Hälfte der EU-Staaten an. Die Regierungen äußerten in der Erklärung ihre „tiefe Besorgnis“ über das Gesetz. Es diskriminiere LGBTQI-Menschen und verletze „das Recht auf freie Meinungsäußerung unter dem Vorwand, Kinder zu schützen“. Notfalls soll die Kommission demnach auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Die EU-Kommission kann bei Verstößen von Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dies tut sie in der Regel aber erst, nachdem eine umstrittene Regelung in Kraft getreten ist. Über mehrere Etappen kann dieses Verfahren bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen.
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