Der Bund wird auch im kommenden Jahr massiv Schulden aufnehmen. Das Bundeskabinett billigte am Mittwoch den Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der für 2022 eine Neuverschuldung von 99,7 Milliarden Euro vorsieht. „Wir haben allen Grund zu Optimismus, der Aufschwung ist da“, hob Scholz gleichwohl hervor.
Für die hohe Neuverschuldung wegen der Corona-Krise muss die Regierung zum dritten Mal auf eine Ausnahmeklausel der Schuldenbremse im Grundgesetz zurückgreifen. Ab 2023 soll die Schuldenbremse dann laut dem ebenfalls vom Kabinett beschlossenen Finanzplan für die Zeit bis 2025 wieder regulär eingehalten werden – allerdings nur dank der Auflösung von Rücklagen.
In der Pandemie habe der Bund „finanzpolitisch goldrichtig“ gehandelt: Er habe „Unternehmen gestützt, Millionen Arbeitsplätze erhalten und Deutschland vor einer Abwärtsspirale bewahrt“, sagte Scholz. Diese Politik solle im Haushalt 2022 fortgesetzt werden. Es gehe um Investitionen „in den sozialen Zusammenhalt, in ein starkes öffentliches Gemeinwesen und in eine starke, zukunftsfähige und klimafreundliche Wirtschaft“.
Die im Vergleich zu den vorherigen Regierungsplänen höhere Neuverschuldung für 2022 begründet die Regierung vor allem mit Mehrausgaben zur Stabilisierung der Sozialkassen und mit höheren Aufwendungen für Klimaschutz, Verteidigung und Entwicklungshilfe.
2023 soll die Neuverschuldung auf 5,4 Milliarden Euro sinken, 2024 auf zwölf Milliarden Euro und 2025 auf 11,8 Milliarden Euro. In Verbindung damit soll eine ursprünglich für Flüchtlingskosten angelegte Rücklage aufgebraucht werden. Eine noch verbleibende Lücke von 6,2 Milliarden Euro hofft Scholz durch eine günstige Wirtschaftsentwicklung zu schließen.
Scharfe Kritik übte der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat an Wahlversprechen der Union, die mit der Haushaltslage nicht vereinbar seien. Zu von CDU und CSU geplanten Steuersenkungen für Bezieher hoher Einkommen und für Unternehmen sagte Scholz: „Das ist nicht seriös gerechnet“. Er forderte stattdessen eine „faire Steuerverteilung“ mit Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen zulasten von Vermögenden.
Die Opposition kritisierte den Etatentwurf scharf. Die Große Koalition lasse den Bundeshaushalt „bewusst zur parteipolitischen Wahlkampf-Wunschliste verkommen“, erklärte der FDP-Finanzexperte Otto Fricke. Dafür plane sie „das größte Finanzloch, das jemals eine aus dem Amt scheidende Bundesregierung ihren Nachfolgern hinterlassen hat“.
Die Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch sprach von einem „Wahlkampfhaushalt mit vielen offenen Rechnungen“. Die Bundesregierung lasse „die Menschen im Unklaren, wer die Rechnungen nach der Bundestagswahl 2021 zahlen soll.“ Die Finanzpolitik in der Pandemie sei „unsozial“ und müsse korrigiert werden – etwa mit einer Vermögensteuer für Milliardäre.
Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler kritisierte Scholz‘ Haushalt als „ambitionslos“. Kindler fügte hinzu: „Einen Gestaltungsanspruch lässt Olaf Scholz nicht durchblicken.“ Die Mittel für den Klimaschutz seien unzureichend, „da muss man jetzt klotzen“, forderte Kindler. Dass die Investitionen im Finanzplan eingefroren werden sollten, sei „nicht mehr als lustloses Verwalten“.
Ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse forderte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Auch er drängte für die Zukunft auf mehr Steuergerechtigkeit.
Der Etatvorlage liegt für 2022 eine Wachstumsprognose von 3,6 Prozent zugrunde. Die Gesamtausgaben sollen im kommenden Jahr 443 Milliarden Euro betragen, in den Folgejahren sollen sie etwas niedriger ausfallen. In Kraft treten wird der Haushalt in dieser Form wohl nie, da die neue Regierung nach der Bundestagswahl eigene Akzente setzen dürfte.