Am Rande des G7-Gipfels im englischen Cornwall hat sich neuer Brexit-Streit angebahnt: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel forderten die Regierung in London auf, sich an die Vereinbarung über Warenkontrollen in Nordirland zu halten. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron appellierte bei einem bilateralen Treffen an Premierminister Boris Johnson, sein Wort zu halten. Johnson bat die Europäer seinerseits um Kompromissbereitschaft.
Der Streit dreht sich um eine Forderung Londons, die im vergangenen Dezember unterzeichnete Brexit-Vereinbarung neu zu verhandeln. Dagegen gab es Widerspruch: Innerhalb der EU gebe es „völlige Einigkeit“ über die Notwendigkeit, „das umzusetzen, worauf wir uns geeinigt haben“, erklärten von der Leyen und Michel.
Johnson müsse die „den Europäern gegebenen Zusagen“ einhalten, forderte auch der französische Präsident Macron. Paris sei „bereit“ für eine Wiederbelebung der französisch-britischen Beziehungen. Diese erfordere jedoch „die Einhaltung des durch die Brexit-Vereinbarungen definierten Rahmens“.
Johnson rief die Europäer seinerseits dazu auf, „Pragmatismus und Kompromissbereitschaft“ bei den Post-Brexit-Regelungen für Nordirland zu zeigen, die in der britischen Provinz für politische Spannungen sorgen. Er verstehe den Wunsch der Europäer, sagte Johnson nach Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Macron, von der Leyen und Michel. Der Schutz des Karfreitagsabkommens in Nordirland stehe für ihn jedoch „an erster Stelle“.
Ein Sprecher von Johnson wies zudem darauf hin, dass der G7-Gipfel nicht der geeignete Ort sei, um eine „sofortige Lösung“ zu erreichen. Der britische Außenminister Dominic Raab hatte zuvor darauf bestanden, dass sich Brüssel flexibler zeigen sollte in seiner Herangehensweise an Nordirland, das die einzige Landgrenze Großbritanniens mit der EU teilt.
Das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags soll sicherstellen, dass zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen stattfinden. Denn diese könnten nach Einschätzung beider Seiten zu einem Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts führen und das Karfreitagsabkommen in Gefahr bringen.
Die Kontrollen sollen laut Brexit-Abkommen deshalb zwischen Großbritannien und Nordirland stattfinden. Nach früheren Verstößen Londons fürchtet die EU, dass Großbritannien eine Ausnahmeregelung für Fleischprodukte nun nochmals einseitig über Ende Juni hinaus verlängert. Britische Medien warnten zuletzt vor einem „Wurst-Handelskrieg“ mit der EU.
Gespräche zur Lösung des Problems waren am Mittwoch in London ohne Einigung gescheitert. Brüssel drohte mit Strafmaßnahmen, sollte London die Vereinbarung nicht umsetzen.
Das Karfreitagsabkommen war 1998 geschlossen worden, um den gewaltsamen Konflikt zwischen pro-britischen Protestanten und den nach Unabhängigkeit von London strebenden Katholiken zu beenden. In dem jahrzehntelangen Konflikt starben 3500 Menschen.